Krieg in der Ukraine

Ukraine rechnet mit Offensive der russischen Armee im Sommer

Menschen suchen Schutz in einer U-Bahnstation in Kiew während einem Luftalarm am 23. April 2024.
Menschen suchen Schutz in einer U-Bahnstation in Kiew während einem Luftalarm am 23. April 2024.Reuters / Alina Smutko
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Russlands Verteidigungsminister kündigt an, gezielt Lager westlicher Waffen in der Ukraine angreifen zu wollen. Bei einem russischen Drohnenangriff auf die Schwarzmeerhafenstadt Odessa sind nach ukrainischen Angaben neun Menschen verletzt worden.

Die Ukraine warnt vor einer Sommer-Offensive der Russen. „Wir bereiten uns vor. Ja, der Feind wird uns unangenehme Überraschungen bereiten“, erklärte der Kommandant der Nationalgarde der Ukraine, Olexandr Piwnenko, im Nachrichtenportal Liga.net. „Er wird in Gebieten agieren, in denen wir ihn nicht erwarten.“ Unterdessen hat Russland als Reaktion auf die neuen US-Militärhilfen für die Ukraine verstärkte Angriffe auf Lagerstätten westlicher Waffen in der Ukraine angekündigt.

Die russische Armee werde auch Logistikzentren in der Ukraine mehr ins Visier nehmen, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einer Besprechung hochrangiger Militärs am Dienstag. Westliche Militärexperten hatten seit Tagen davor gewarnt, dass Russland das Zeitfenster bis zum Eintreffen der neuen Waffen und Munition für die Ukraine für eine Intensivierung seiner Angriffe nutzen könnte. Nach dem US-Repräsentantenhaus muss noch der Senat in Washington über das Hilfspaket von 61 Milliarden US-Dollar (rund 57 Milliarden Euro) abstimmen. Danach will US-Präsident Joe Biden es freigeben.

Russland behauptet, nur militärische Ziele anzugreifen

Obwohl Moskau bei seinem Beschuss häufig Objekte der zivilen Infrastruktur zerstört, behauptet die russische Militärführung, nur militärische Ziele zu bekämpfen. Vor allem Energieanlagen in der Ukraine hatten die russischen Streitkräfte bombardiert. Nach Angaben Schoigus hat die russische Armee an der Front die Zügel fest in ihrer Hand. Die ukrainischen Soldaten würden aus ihren Positionen zurückgedrängt, sagte er. Die Gegenoffensive Kiews sei gescheitert.

„Seit Beginn der militärischen Spezialoperation belaufen sich die Verluste der ukrainischen Streitkräfte auf fast eine halbe Million Soldaten“, sagte Schoigu. Dagegen hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij Ende Februar die Zahl der eigenen Gefallenen mit 31.000 angegeben. Westliche Militärexperten schätzen die Verluste - Gefallene und Schwerverwundete - auf beiden Seiten auf mehr als jeweils 100.000.

Ukraine streicht konsularische Dienstleistungen für wehrfähige Männer

Im Zusammenhang mit einem neuen Mobilisierungsgesetz stellen Botschaften und Generalkonsulate der Ukraine ab Dienstag temporär die allermeisten konsularischen Dienstleistungen für männliche Staatsbürger im wehrfähigen Alter ein. Das bestätigte Außenminister Dmytro Kuleba auf X, ehemals Twitter: Männer im wehrfähigen Alter seien ausgereist und hätten ihrem Land gezeigt, dass sie die Fragen des Überlebens der Ukraine nichts angingen. Aber dann kämen sie und wollten von diesem Land Dienstleistungen erhalten, erklärte der Außenminister. „So geht das aber nicht“, schrieb Kuleba.

Bei einem russischen Drohnenangriff auf die Schwarzmeerhafenstadt Odessa sind nach ukrainischen Angaben neun Menschen verletzt worden. „Vier davon sind Kinder - zwölf und neun Jahre sowie zwei Babys, die noch nicht einmal ein Jahr alt sind“, schrieb der Militärgouverneur der Region, Oleh Kiper, am Dienstag auf seinem Telegram-Kanal. Alle vier seien mit mittelschweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Mehrere Wohnhäuser in der Stadt seien beschädigt worden und in Flammen aufgegangen, teilte Kiper mit. Von mindestens 14 beschädigten Wohnungen sprach die Stadtverwaltung. Die Bergungstrupps haben Dutzende Menschen aus den Trümmern gerettet, darunter auch drei Kinder.

Drohnen auf Odessa und Mykolajiw im Süden

Der ukrainischen Luftwaffe zufolge setzte Russland 16 Drohnen und zwei Kurzstreckenraketen ein. 15 Drohnen seien durch die Luftabwehr zerstört worden. Sie seien auf Odessa und Mykolajiw im Süden der Ukraine, Tscherkassy in der Zentralukraine und auf die Hauptstadt Kiew angesetzt gewesen. In Kiew habe es weder Schäden noch Verletzte gegeben, teilte der Chef der Militärverwaltung, Serhij Popko, ebenfalls auf Telegram mit.

Russland beschießt in seinem seit nunmehr mehr als zwei Jahre andauernden Angriffskrieg gegen die Ukraine auch regelmäßig das Hinterland des benachbarten Staates. Immer wieder werden dadurch Infrastrukturobjekte beispielsweise zur Strom- und Wasserversorgung zerstört und Zivilisten getötet oder verletzt.

„Gnadenlose und rücksichtslose Tötung von Tausenden Zivilisten“

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine fordert indes immer mehr zivile Opfer. Das hat der Wiener Ostkirchen-Generalvikar Yuriy Kolasa am Dienstag gegenüber Kathpress betont. „Die größte Tragödie dieses Krieges ist die gnadenlose und rücksichtslose Tötung von Tausenden von Zivilisten, insbesondere von unschuldigen Kindern, durch ständige russische Raketen- und Drohnenangriffe auf die Wohngebiete in der Ukraine“, so Kolasa.

Er hätte am Montag im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz mit einer Delegation der Päpstlichen Missionswerke in die Ukraine reisen sollen, um Hilfsprojekt vor Ort zu besuchen. Die Reise musste unmittelbar vor Beginn aber verschoben werden.

„Leider erfahren wir über Nachrichten nicht, wie dramatisch das Ausmaß der Zerstörung ist“, so der Generalvikar. Er nannte im Kathpress-Gespräch einige Zahlen, die die Not der Bevölkerung und die Kriegsverbrechen Russlands illustrieren würden. Die Menschenrechtsbeobachtungsmission der Vereinten Nationen in der Ukraine habe etwa bestätigt, dass im Jänner 2024 mindestens 641 Zivilisten in der Ukraine getötet oder verletzt wurden. Damit setze sich der Anstieg der Zahl der zivilen Opfer (Tote und Verletzte) seit Dezember 2023 fort. Die Zahl der bestätigten zivilen Opfer sei im Jänner 2024 um 37 Prozent höher gelegen als im November 2023.

250.000 Gebäude zerstört

Der aktive Beschuss von Städten mit Raketen, Drohnen und Artillerie sei Teil der russischen Kriegstaktik, was zu einer erheblichen Zerstörung der zivilen Infrastruktur in Städten und Gemeinden führe, insbesondere in der Nähe der Frontlinie. Kolasa: „Anfang 2024 waren mehr als 50 Prozent des Wohnungsbestands in einer großen Zahl von Städten und Gemeinden durch die verstärkten Angriffe der russischen Streitkräfte mit Raketen und Drohnen beschädigt oder zerstört.“

Nach vorläufigen Angaben regionaler Militärverwaltungen belaufe sich die Gesamtzahl der zerstörten oder beschädigten Wohngebäude bis Ende 2023 auf etwa 250.000, davon 222.600 Privathäuser sowie 28.000 Mehrfamilienhäuser und Wohnheime. 1.284 Gesundheitseinrichtungen seien vollständig zerstört. Insgesamt seien 3.800 Bildungseinrichtungen durch die Angriffe beschädigt worden. In vielen Regionen sei der Unterrichtsbetrieb in Schulen und anderen Einrichtungen für lange Zeit eingestellt worden.

Seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine wurden 19 zivile Flughäfen und mindestens 126 Bahnhöfe und Bahnbetriebswerke beschädigt. Nach öffentlichen Angaben des Ministeriums für kommunale, territoriale und infrastrukturelle Entwicklung seien u.a. alle Wärmekraftwerke zumindest beschädigt worden. (APA/Reuters)

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