Berichte: Erdogan rastete nach Grubenunglück aus

Turkey's PM Erdogan visits the coal mine accident site in Soma
Turkey's PM Erdogan visits the coal mine accident site in SomaREUTERS
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Der türkische Premier soll die Tochter eines toten Kumpels und einen Bergmann angegriffen haben. Die Türkische Gemeinde in Deutschland legt Erdogan den Rücktritt nahe.

Bei seinem Besuch im westtürkischen Soma nach dem schweren Grubenunglück soll Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach Medienberichten zwei Passanten tätlich angegriffen haben. Ein Opfer sei ein 15-jähriges Mädchen gewesen, berichteten die Zeitung "Evrensel" und andere Medien am Freitag.

Das Kind sei Tochter eines Todesopfers des Grubenunglücks und habe Erdogan in Soma als "Mörder meines Vaters" beschimpft. Erdogan habe zudem einen Bergmann geschlagen und als "Ausgeburt Israels" beschimpft.

Der Bergmann, Taner Kuruca, bestätigte den Vorfall vom Mittwoch, sagte aber, er wolle keine Strafanzeige stellen, obwohl er auch von den Leibwächtern Erdogans verprügelt worden sei. Erdogan habe die Ohrfeige sicher nicht gewollt.

Türkische Gemeinde in D: "Staatsmann darf nicht handgreiflich werden"

Die Türkische Gemeinde in Deutschland übt scharfe Kritik an Erdogan. Sollte sich herausstellen, dass Erdogan bei seinem Auftritt nach dem Grubenunglück in Soma tatsächlich einen jungen Mann geohrfeigt hat, müsse er zurücktreten, sagte Co-Vorsitzender Gökay Sofuoglu. "Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten, müsste es Konsequenzen geben. Dann müsste Erdogan sich entschuldigen und zurücktreten", sagte Sofuoglu. "Ein Staatsmann muss seine Aggressionen unter Kontrolle haben. Ein Staatsmann darf nicht handgreiflich werden. Das geht nicht."

Der Regierungschef hatte Soma am Mittwoch besucht und viele Menschen dort gegen sich aufgebracht, indem er über die angebliche Unvermeidlichkeit von Bergwerksunfällen sprach. "So etwas passiert", sagte er. Daraufhin wurde Erdogans Wagenkolonne von wütenden Demonstranten attackiert, die den Rücktritt des Ministerpräsidenten forderten.

Die Leibwächter Erdogans ließen den 60-jährigen Regierungschef vor der Abfahrt aus der Stadt vor einem Supermarkt aussteigen, wo erneut Parolen gegen die Regierung aufbrandeten. Vor dem Eingang des Geschäfts soll Erdogan die Schläge ausgeteilt haben.

Berater entschuldigt sich nach Tritt

Videos der Szenen im Internet zeigen Erdogan in einem Pulk von Leibwächtern und Polizisten, doch sind die angeblichen Schläge des Ministerpräsidenten nicht eindeutig zu sehen. Ebenfalls in Soma hatte der Erdogan-Berater Yusuf Yerkel auf einen am Boden liegenden Demonstranten eingetreten. Yerkel erklärte, er sei wegen zahlreicher Beleidigungen außer sich geraten und bedauere den Vorfall.

Türkische Oppositionspolitiker kritisierten Erdogan. "Das ist unser Ministerpräsident, den wir sehr gut kennen. Alle über Manieren belehren, aber sich selbst unverschämt verhalten", sagte der CHP-Politiker Gürsel Tekin. Kritik kam auch aus der ultranationalistischen Partei MHP.

Tränengas gegen Demonstranten

Am Freitag ging die türkische Polizei mit Tränengas gegen tausende Demonstranten am Ort des Bergwerksunglücks vor. Die Sicherheitskräfte feuerten zudem Gummimantelgeschosse auf die rund 10.000 Protestierenden, die den Rücktritt der Regierung forderten.

Der Exekutivratsvorsitz der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) veröffentlichte eine Erklärung zur Grabenkatastrophe, in der sie diese als Mord bezeichnet und "im Namen der kurdischen Freiheitsbewegung" den betroffenen Familien und Angehörigen ihr Mitgefühl und Beileid ausdrückt.

Bei dem Grubenunglück in Soma im Westen der Türkei waren mehr als 280 Menschen gestorben. Mindestens 90 Kumpel wurden am Freitag noch immer vermisst. Die Wut über das Unglück hatte sich dabei zuletzt zunehmend gegen die Regierung Erdogans gerichtet. In Ankara, Izmir und Istanbul gingen zehntausende Menschen auf die Straße. Sie werfen der Regierung vor, Sicherheitsmängel in den Bergwerken der Türkei in Kauf genommen zu haben.

(APA/AFP/dpa)

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