Nigeria: Boko Haram entführt nun auch Babys

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Die Extremisten sollen in nordnigerianischen Dörfern 91 Menschen gekidnappt haben - darunter auch Kinder. Die Armee intensiviert ihre Luftangriffe gegen Extremistenstellungen.

Abuja. Mit Maschinengewehren bewaffnet stürmten die Männer mindestens drei Dörfer im Nordosten Nigerias. Sie drangen mit Gewalt in Häuser und Schulen ein. Dann zwangen sie nahezu 100 Menschen, auf ihre Pick-ups zu steigen und verschwanden. Verschleppt wurden erneut vor allem verheiratete Frauen und junge Mädchen – aber diesmal waren offenbar auch Babys darunter. Vier Dorfbewohner, die fliehen wollten, wurden auf der Stelle erschossen.

Hinter der grausamen Tat in der Region Borno steckt vermutlich erneut die radikalislamische Boko Haram. Insgesamt 91 Menschen sollen nach Angaben eines Mitgliedes der lokalen Bürgerwehr gekidnappt worden sein. Die Angriffe hätten zwischen Donnerstag und Sonntag stattgefunden: 60 Frauen und Mädchen sowie 31 Burschen sollen die mutmaßlichen Terroristen verschleppt haben. Auch die Zeitung „Premium Times“ spricht von etwa 60 entführten Frauen und Kindern. „Sogar kleine Mädchen und Babys nahmen sie mit“, werden in dem Artikel Augenzeugen zitiert.

Offiziell wurde die jüngste Terrorwelle nicht bestätigt – wie fast immer nach einem Anschlag. „Wir untersuchen den Fall noch“, so der knappe Kommentar der Polizei.

„Unislamischer“ Fußball

Boko Haram kämpft im verarmten, moslemischen Norden des Landes für einen islamischen Staat. Der Namen der Gruppe – übersetzt „westliche Erziehung ist Sünde“– ist zugleich grausames Programm der Terroristen: Seit April halten die Extremisten mehr als 200 Schülerinnen fest, die sie aus ihren Dörfern entführt hatten. Die Extremisten wollen „die Mädchen als Sklavinnen verkaufen“.

Boko Haram kontrolliert durch ein Regime des Terrors de facto weite Teile des Norden Nigerias. Allein heuer sollen bei Anschlägen mehr als 1500 Nigerianer das Leben verloren haben, so Amnesty International: Die Islamisten morden wahllos Frauen, Männer, Kinder – um sie wegen ihres angeblich „unislamischen Verhaltens“ zu bestrafen. Erst am Montag wurden bei einem Bombenanschlag auf einem Uni-Campus 20 Studenten getötet. Vergangene Woche platzierten die Extremisten einen Sprengsatz mitten auf einem Dorfplatz, wo Fußballfans die Fernseh-Übertragung eines WM-Spiels verfolgten. Dutzende Menschen starben, darunter auch Kinder.

Seit der Entführung der jungen Mädchen, die auch international für Empörung gesorgt hatte, hat die Regierung ihre Militäraktion gegen die Extremisten intensiviert. Bei einem Luftangriff auf mehrere Dörfer sollen zuletzt 70 mutmaßliche Extremisten getötet worden sein. Auch die USA, Frankreich und Großbritannien haben Nigeria militärische Unterstützung bei der Suche nach den Schülerinnen zugesichert. Bisher ohne Erfolg.

Wut auf Regierung wächst

Die Nigerianer werfen der Regierung von Präsident Goodluck Jonathan Taten- und Machtlosigkeit gegenüber den Islamisten vor. Es kursieren Gerüchte, dass Teile der Armee mit den Islamisten kooperieren würden. Seit der Verschleppung der 200 Mädchen ist der Frust über die Unfähigkeit des Staatschefs noch weiter gestiegen: Täglich demonstrieren unter dem Motto „Bring back our girls“ (Bringt unsere Mädchen zurück) tausende Menschen. Nach der jüngsten Massenentführungswelle dürfte die Wut im Land noch weiter wachsen. (basta; ag)

AUF EINEN BLICK

Die Extremistengruppe Boko Haram soll in Nordosten Nigerias erneut Dutzende Menschen entführt haben – darunter auch Kinder und Babys. Boko Haram hält seit April rund 200 Schülerinnen fest. Die Terrorgruppe will im moslemischen Nordnigeria einen islamischen Staat errichten. Bei Anschlägen sollen allein heuer mehr als 1000 Menschen gestorben sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2014)

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