Leiter des Krisenstabs in Bagdad fordert Zugeständnisse an Sunniten. Erbitterte Kämpfe um Saddams Geburtsort. Moskau greift mit Kampfjet-Lieferungen ein.
Bagdad/Wien. Der islamische Fastenmonat Ramadan hat in Tikrit mit schwerem Artilleriefeuer und Luftschlägen begonnen. Die irakische Armee wagte ihre bisher größte Offensive zur Rückeroberung der nördlich von Bagdad gelegenen Stadt, stieß dabei auf erbitterten Widerstand. Die Lage war zunächst unübersichtlich. Nach Armeeangaben wurden Dutzende Terroristen getötet.
In einem kleinen Dorf im Umland der 100.000-Einwohner-Stadt liegt der Geburtsort von Saddam Hussein. Und nun, heißt es, würden in Tikrit wieder Mitglieder der verbotenen Baath-Partei des gestürzten Diktators kämpfen. An der Seite sunnitischer Stämme und der Terroristen des Islamischen Staats im Irak und der Levante (Isil), die Tikrit am 11.Juni erobert hatten. Der Irak droht entlang seiner ethnischen und religiösen Bruchlinien zu zerfallen. Und eine rein militärische Antwort wird diesen Prozess nicht aufhalten, wie nun auch der Leiter des irakischen Krisenstabs, General Ali al-Saidi, einräumt. Er wagt in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ den Tabubruch und fordert eine Aufteilung des Landes in autonome Zonen. „Alle Gruppen sollen ihre eigenen Regionen erhalten. Das ist die einzige Lösung“, erklärte al-Saidi. Also die Mehrheit der Schiiten, die Sunniten – und die Kurden, die schon jetzt über ein Autonomiegebiet im Norden walten und ihr Einflussgebiet im Sog der Kriegswirren deutlich erweitert haben. Das Kalkül hinter al-Saidis Vorstoß: (Mögliche) Zugeständnisse an die sunnitischen Stämme und Baathisten sollen einen Keil in das sunnitische Lager treiben, die Zweckgemeinschaft mit den Isil-Terroristen auflösen. Denn „Isil macht nur zehn Prozent der Kämpfer aus“, behauptet der General.
Greift Saudiarabien ein?
Der Eroberungszug der Jihaddisten scheint auch das alte Spiel der Regionalmächte im Nahen Osten kurzzeitig außer Kraft zu setzen. Saudiarabien, ultrareligiöse Schutzmacht der Sunniten, fürchtet zwar die schiitische Achse Iran, Irak und Syrien. Immer wieder kursieren Berichte, wonach große Geldsummen von Geschäftsleuten auf der arabischen Halbinsel an die sunnitischen Isil-Terroristen fließen. Doch mittlerweile scheint Riad den Isil-Vormarsch als langfristige Bedrohung für die eigene Monarchie einzustufen. In seiner Ansprache zu Beginn des Fastenmonats nannte König Abdullah die Extremisten eine „Plage“– und stellte indirekt ein Eingreifen der Saudis in Aussicht: „Wir werden nicht zulassen, dass eine handvoll Terroristen, die den Islam zu ihren persönlichen Zwecken missbrauchen, die Muslime terrorisieren und unserer Heimat Schaden zufügen.“
Konkrete Hilfe für Bagdad kam unterdessen aus Moskau, das seine Hand bekanntlich auch schützend über den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad hält. Russland lieferte demnach die ersten Flugzeuge vom Typ Su-25 aus. Eine Expresszustellung. Erst am Donnerstag hatte Iraks Premier Nouri al-Maliki den Kauf von mehr als einem Dutzend Suchoi-Fliegern bekanntgegeben. Geschätzter Kostenpunkt: 368 Millionen Euro. Die Suchoi-Kampfjets sind vor allem für Bodenangriffe ausgelegt. Es bestehen aber Zweifel, dass die irakischen Piloten für den Einsatz in den Maschinen ausreichend ausgebildet sind.
Weiter warten heißt es in Bagdad auf eine Lieferung aus den USA: Washington hat F-16-Kampfjets und Apache-Kampfhubschrauber zugesagt. Und auch der alte Erzfeind der USA in Teheran versprach notfalls Unterstützung für die schiitischen Brüder. Es würden dabei die gleichen Mittel angewendet wie in Syrien, erklärte Brigadegeneral Massoud Jazayeri. Der Iran unterstützt Syriens Regimetruppen Berichten zufolge mit Millionenkrediten, Waffenlieferungen und dem Know-how seiner Revolutionsgarden. (strei)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2014)