Die Unterbringung von Flüchtlingen führt zu einem neuen Konflikt zwischen SPÖ und ÖVP – vor allem, weil Kanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger das Machtwort scheuen.
Wien. Den Kanzler als führungsschwach darzustellen, als jemanden, der auf Tauchstation geht, wenn es heikle politische Entscheidungen zu treffen gilt: Das scheint die neue Strategie der ÖVP zu sein, um Werner Faymanns Image einen nachhaltigen Schaden zuzufügen.
ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka hat das vor Kurzem rund um die innerkoalitionären Streitthemen Budget und Pensionen versucht. In der Asylpolitik knüpft die Volkspartei nun nahtlos an Lopatka an. Am Montag hatte sich der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll öffentlich gefragt, wo denn eigentlich der Regierungschef in der Debatte verblieben sei.
Dienstagmittag legte ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel via Twitter nach: Faymann könne nicht so tun, „als würde ihn nichts in diesem Land etwas angehen“. Er solle „Verantwortung beweisen statt zuzuschauen“ – wenn beispielsweise Verteidigungsminister Gerald Klug leere Kasernen nicht (kostenlos) als Asylquartiere zur Verfügung stelle.
Blümels Kritik war aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Erstens hatte sich der Kanzler schon geäußert, nämlich am Dienstagvormittag am Rande eines Soldatenempfangs in Korneuburg: Es könne nicht sein, dass das Asylzentrum in Traiskirchen überbelegt sei, „weil andere Bundesländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen“, hatte Faymann beanstandet. Gemeint waren jene Länder, die ihre Asylquoten nicht erfüllen, also alle außer Wien, Niederösterreich und dem Burgenland.
Zweitens ist auch Vizekanzler Michael Spindelegger in der Asylfrage bisher noch kein Machtwort (in Richtung der ÖVP-Landeschefs) über die Lippen gekommen. Nach dem Sommerministerrat in der Vorwoche hatte der ÖVP-Chef nur gemeint, die Länder seien aufgefordert, die vereinbarten Asylquoten einzuhalten. Da unterstütze er Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Deren Reformkonzept will Spindelegger aber erst kommentieren, wenn er die Details kenne.
In Wahrheit haben beide, Kanzler und Vizekanzler, gute Gründe, sich aus dieser Debatte herauszuhalten. Vor allem Spindelegger steht zwischen den Fronten: Dass das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen überfüllt ist, stört vor allem Erwin Pröll, zu dem Spindelegger ein – wie soll man sagen? – sehr, sehr gutes Verhältnis pflegt. Die Innenministerin, ebenfalls Niederösterreich entstammend, will deshalb gleich das Asylwesen reformieren. Die Zentren in Traiskirchen und im oberösterreichischen Thalham sollen in ihrer derzeitigen Form aufgelöst, die Erstprüfung den Ländern übertragen werden.
Pühringer vs. Pröll
An dem Plan stoßen sich jedoch die anderen Landesparteichefs der ÖVP, auch wenn es bisher nur der Oberösterreicher Josef Pühringer wagte, der Achse Pröll/Mikl-Leitner öffentlich zu widersprechen. Pühringer hat ebenfalls Gewicht in der Partei, weshalb Spindelegger das Risiko, sich entscheiden zu müssen, nicht eingehen will.
Faymann und sein engstes Umfeld können Mikl-Leitners Plänen hingegen einiges abgewinnen, hört man aus der Bundes-SPÖ. Allerdings gibt es auch in der Kanzlerpartei Landeshauptleute, die einer Asyleinigung in der Bundesregierung im Wege stehen: den Burgenländer Hans Niessl zum Beispiel, der eine Benachteiligung für die östlichen Bundesländer befürchtet. Außerdem, sagt Niessl, seien vor allem ÖVP-geführte Länder säumig.
Auch der Wiener Bürgermeister Michael Häupl hegt den Verdacht, dass Mikl-Leitners Vorhaben den vorrangigen Zweck habe, „Verantwortung auf die Länder abzuschieben“. Was er so nicht hinnehmen werde, denn Asylpolitik sei Bundessache. Das Echo von Häupls Worten soll, wie üblich, auch im Kanzleramt gut zu hören gewesen sein.
Genau hier hakt die ÖVP ein. Mikl-Leitner drängt auf die vorerst einfachste Lösung – die Unterbringung von Flüchtlingen in Kasernen. Damit soll der Schwarze Peter in dieser Asylfrage wieder der SPÖ zugeschoben werden. Heeresminister Klug, dem überall Budgetmittel fehlen, ist dazu nur bereit, wenn das Innenressort die Kasernen gleich kauft. Womit die SPÖ-ÖVP-Regierung am Ende wieder einmal ein Bild der Zerstrittenheit abgibt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2014)