„Es wird nie mehr so gut werden, wie es war“

Interview. Der rasante Aufschwung der Schwellenländer war ein „historischer Glücksfall“, sagt David Hauner. Und er ist vorbei. Schuld ist auch die Alterung.

Die Presse: Die Schwellenländer sind nicht mehr die Wachstumsmotoren, die sie zuletzt waren. Warum? Gibt es die alte Hochkonjunktur einfach nicht mehr?

David Hauner: Wir erleben eine dauerhafte Abschwächung des Wachstums weltweit. Das hat mehrere Gründe: Die vergangenen 15 bis 25 Jahre waren eine außergewöhnlich gute Periode für die Schwellenländer. In Osteuropa fiel der Eiserne Vorhang, die Integration in die EU brachte einen unglaublichen Reformschub. In China gab es eine Öffnung der Wirtschaft für Private, was ab 2000 einen Boom gebracht hat. Und es war eine ungewöhnlich starke Periode globalen Kreditwachstums, was mit der expansiven Politik der US-Notenbank Fed zusammenhängt.

Die Schwellenländer haben von der Geldschwemme zwar profitiert. Wirklich vorteilhaft war sie aber nicht.

Heute weiß man, dass die Fed um die Jahrtausendwende viel zu lang die Zinsen niedrig gelassen hat und so eine globale Kreditblase erzeugt hat. Nicht nur die USA, auch Osteuropa und Lateinamerika erlebten einen blasenartigen Immobilienboom. Das letzte Puzzlestück für den historischen Glücksfall der vergangenen zwanzig Jahre war aber das starke Anziehen der Rohstoffpreise. Viele Schwellenländer sind rohstoffgetrieben. Seit 2002 ist der Rohstoffzyklus stark gestiegen, seit 2011 schwächt er sich ab. Heute ist klar, dass das ein strukturelles Phänomen ist. Bis die Überkapazitäten abgebaut sind, kann es zehn bis zwanzig Jahre dauern.

Das heißt, wir sehen jetzt zwanzig Jahre gedämpftes Wachstum?

Kommt darauf an, womit man es vergleicht. Es wird nie mehr so gut werden, wie es 2002 bis 2007 war. Dieser historische Glücksfall aus Investitionswachstum, Rohstoffboom und niedrigen Zinsen ist einmalig. Die Chinesen haben auf ihrem Weg nach oben etwa wie wild Kredite aufgenommen. Letztlich ist immer der Kreditzyklus entscheidend. Und der geht global nach unten. Kreditwachstum trägt global nicht mehr zum Wirtschaftswachstum bei, weil die Welt schon überschuldet ist. Auch die Türkei hatte lange Jahre 30 Prozent reales Kreditwachstum. Jetzt stehen dort so viele Häuser, dass weitere Kredite schwer zu rechtfertigen sind. Trotzdem gibt es auch heuer zehn Prozent Kreditwachstum, aber nur drei Prozent Wirtschaftswachstum. Es werden Kredite vergeben, die kein Wachstum bringen.

China wartet seit Jahren darauf, dass die angesagte Bankenkrise ausbricht und die globale Wirtschaft nach unten reißen wird. Wie realistisch ist das?

Die Sorge besteht zu Recht und wird von Peking auch ernst genommen. China vollführt einen Drahtseilakt. Es will verhindern, dass sich die Wirtschaft zu schnell abschwächt. Gleichzeitig anerkennen alle, dass es künftig keine Wachstumsraten über sieben Prozent mehr geben wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass es schiefgeht, ist hoch. Aber der Bundesstaat hat Gott sei Dank enorme Währungsreserven. Und im Gegensatz zu anderen Schwellenländern werden auch die Kapitalflüsse stark kontrolliert. Die Gefahr, dass die Panik von internationalen Investoren das Land entscheidend trifft, ist gering.

Anderen Schwellenländern geht es nicht so gut, wie man zu Jahresbeginn sah. Die Ankündigung der Fed, die Geldpolitik vielleicht doch zu straffen, reichte, um vielen Schwellenländern Kapitalflucht und Währungsverfall zu bescheren.

Wir haben damals eine Blase gehabt. Investoren haben gekauft, obwohl sie wussten, dass es zu teuer ist, und es ist nach den Fed-Aussagen Panik ausgebrochen. Natürlich sind viele Schwellenländer immer noch abhängig von ausländischen Kapitalzu- und abflüssen. Vor allem jene Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten und schwacher Wirtschaftspolitik sind davon stark abhängig.

Auch der IWF hat jüngst gefordert, dass manche Schwellenländer mehr tun müssten, um ihre Volkswirtschaften zu reformieren. Wie groß sind die Versäumnisse der Länder selbst?

Neben dem Kreditzyklus haben wir auch einen Reformzyklus. Osteuropa schaffte in den 1990er-Jahren große Reformen wegen des EU-Beitritts, seither kam nicht mehr viel. In Russland gab es nach 2000 unter Putin Reformen, jetzt nicht mehr. China entwickelt sich sehr langsam. Indien hat jahrelang nichts gemacht, nun wurde der Premier abgewählt. In Brasilien ist, seit Lula abgetreten ist, nichts mehr passiert. Wenn die Staaten Reformen vorantreiben würden, könnten sie locker um ein Prozentpunkt stärker wachsen.

Manche sagen, auch der Sparkurs von Europa bringe die Schwellenländer in Bedrängnis, weil ihnen die Nachfrage fehle.

Global muss die Leistungsbilanz ausgeglichen sein. Aber ich halte nichts davon, irgendjemandem die Schuld zuzuschieben. Es ist nicht überraschend, dass die Eurozone, die aus der größten Finanzkrise der vergangenen Jahre kommt, einen Leistungsbilanzüberschuss hat. Die Länder im Süden müssen ihre Schulden abbauen. Natürlich kann man sagen, der reiche Norden müsse das ausgleichen. Aber es ist schwierig, den Deutschen und Österreichern zu erklären, dass sie viel mehr konsumieren sollen, wenn wir wissen, dass wir für die Zukunft noch kein stabiles Pensionssystem haben. Wir brauchen keinen künstlich stimulierten Konsum.

Zumindest das Problem der Überalterung hatten Schwellenländer bisher nicht, oder?

Sie sind teilweise sogar schlechter dran. Der demografische Wandel in den Schwellenländern geht viel schneller vor sich, weil sie von der medizinischen Entwicklung im Westen profitieren konnten. Es gab eine Periode, in der diese Länder deutlich mehr Arbeiter als Kinder und Alte hatten. Jetzt beginnt sich das umzukehren. Auch das drückt auf das Wachstum. Indien oder Indonesien sind immer noch junge Staaten. Aber der Wachstumsmotor Demografie schwächt sich ab.

Die BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) haben eine eigene Weltbank und einen eigenen Währungsfonds gegründet, um sich vom Westen unabhängiger zu machen. Ist das verständlich?

Ja, jahrzehntelang wurde die Weltwirtschaft von den Industrienationen regiert. Es ist klar, dass die Schwellenländer, die zusammen 50 Prozent der globalen Wirtschaft ausmachen, ihre eigenen Entscheidungen fällen wollen. Und die Industrieländer sind wegen der Krise zu stark mit sich selbst beschäftigt.

Ist es auch sinnvoll?

Ich glaube nicht, dass das größere Bedeutung hat. Die BRICS-Bank ist eine nette Sache, aber es gibt viele Entwicklungsbanken dieser Art. Es wird die Welt nicht verändern, ist aber Teil eines Prozesses, der die Weltwirtschaft zusehends komplexer macht. Und auch Zeugnis eines stärkeren Vertrauensverlustes zwischen dem Westen und den größeren Schwellenländern ist. Aber die Weltwirtschaft ist so stark verzahnt, dass niemand - weder die Europäer, noch die Russen noch die Chinesen - sich wirklich von den anderen lossagen kann. Das ist auch eine gute Nachricht.

Wer wird in dieser Welt künftig wirtschaftliche Impulse liefern?

Es werden immer noch die Schwellenländer sein. Sie wachsen heuer immerhin um 4,5 bis fünf Prozent und damit trotz aller Probleme weit schneller als die Industrieländer. Man darf auch nicht vergessen, dass China heute viel größer ist, als es vor zwanzig Jahren war. Die EU muss froh sein, wenn sie 0,8 Prozent schafft. Die USA erholen sich etwas, weil die niedrigen Energiekosten eine gewisse Renaissance der Industrie ermöglicht haben. Die Wachstumsmotoren der näheren Zukunft bleiben China und die USA. Und danach könnten Indien und Indonesien dazukommen.

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