Suche nach dem Recht im GPS-Modus

Clemens Jabloner
Clemens JablonerDie Presse
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Juristen drohen Systemverständnis zu verlieren, warnt Ex-VwGH-Präsident Jabloner.

Wien. Für Clemens Jabloner, den ehemaligen Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), gleicht die Suche nach rechtlichen Lösungen zunehmend einer Fahrt mit einem Navigationssystem: Man kommt relativ verlässlich ans Ziel, ohne jedoch vom Weg dorthin eine Vorstellung zu haben. „Es ist eine Art GPS-Effekt“, sagt Jabloner im Interview mit der „Presse“. Sei man früher in eine fremde Stadt gefahren, habe man sich zunächst mit einer Landkarte und einem Stadtplan über die Strukturen informiert; heute führe einen das Navigationssystem in die kleinste Straße, aber orientieren könne man sich nicht.

Auf ähnliche Weise drohen Juristen das Verständnis vom Rechtssystem zu verlieren. Darauf will Jabloner bei den Alpbacher Rechtsgesprächen hinweisen, die sich am Mittwoch und Donnerstag mit der künftigen Entwicklung des Rechts beschäftigen. Begünstigt werde die zunehmende Unübersichtlichkeit durch die Digitalisierung des Rechts: Einerseits sei nur mehr mit digitalen Mitteln die Masse unstrukturierter, polyzentrisch erzeugter Normen und einschlägiger Gerichtsentscheidungen zu bewältigen; andererseits beförderten diese Speichermöglichkeiten den weiteren Anstieg der Normenflut.

Jabloner hält die akademische Beschäftigung mit dem Recht vor diesem Hintergrund für unerlässlich. „Ich bin dagegen, dass man Juristen zu reinen Maschinenbedienern ausbildet“, sagt Jabloner. Vielmehr sollten ihnen weiterhin eine kritische Sicht und eigene Kreativität vermittelt werden. „Sonst werden die Juristen den heißen Atem der Elektronik im Nacken verspüren und überflüssig werden, sobald sich das Recht nur noch in Algorithmen der Datenverarbeitung abspielt.“ Diese Vorstellung widerspreche der Tradition der österreichischen Rechtslehre: Deren großes Verdienst sei es gewesen, theoretische Modelle zu entwickeln, die zu praktisch-legistischen Konsequenzen geführt hätten. So habe Hans Kelsens Theorie des Stufenbaus die Schaffung des Verfassungsgerichtshofs vorbereitet.

Gewisse Sorge bereitet dem Wissenschaftler – Jabloner nimmt am 1. September eine halbe Professur am Juridicum an – die aktuelle Situation des Grundrechtsschutzes in Europa. Demnächst wird die EU der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten, womit nach der Proklamation der EU-Grundrechtecharta nun nochmals Rechtsschutzsysteme aufeinandergetürmt würden. „In diesem komplizierten Konzert suchen die großen Spieler – der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Gerichtshof der EU, das deutsche Bundesverfassungsgericht, unsere drei Höchstgerichte – ihre Rolle und ihre Kompetenzen“, so Jabloner. „Ob das für den Einzelnen ein Vorteil ist, sehe ich noch nicht deutlich.“ Jabloner zweifelt offenkundig daran, denn im Moment konstatiert er eine „Phase der Selbstreferenz der Rechtsschutzsysteme“.

Manchmal führt ein hoch entwickelter Rechtsschutz zu paradoxen Folgen, weil er die Verfahren verlängert. Davon war auch schon Österreich betroffen, etwa als ein deutscher Autofahrer mit 200 km/h durch Salzburg gefahren war und dann in allen Instanzen inklusive VwGH verlor. Österreich wurde aber wegen des überlangen Verfahrens vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.

Machtlos gegen Bedrohungen?

Als widersprüchlich empfindet Jabloner auch, welche Grundrechtsverletzungen wie erfolgreich bekämpft werden können: So könne man unter Berufung auf Art 8 EMRK (Recht auf Privat- und Familienleben) subtilste namensrechtliche Probleme leicht vor den Straßburger Gerichtshof bringen; gegen akute Bedrohungen der Privatsphäre durch mächtige private Internetdienste wie Google oder Facebook oder durch außereuropäische Geheimdienste müsse man sich aber schon etwas einfallen lassen; immerhin sei einiges im Gang, meint Jabloner unter Hinweis auf den jungen Juristen Max Schrems und dessen Initiative gegen Facebook.

ZUR PERSON

Clemens Jabloner, am 28. November 1948 in Wien geboren, wurde 1991 aus dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts kommend zum Vizepräsdenten des Verwaltungsgerichtshofs bestellt. Jabloner hat sich im Öffentlichen Recht habilitiert. Von 1993 bis Ende 2013 war er Präsident des Gerichtshofs. 1998 bis 2003 leitete er die Historikerkommission zum NS-Vermögensentzug, seit 2007 sitzt er dem Kunstrückgabebeirat vor. Übermorgen, Mittwoch, tritt er bei den Rechtsgesprächen in Alpbach auf.

Am 1. September übernimmt Jabloner eine halbe Professor am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. Er wird sich dort vor allem mit Rechtsphilosophie und juristischer Methodenlehre beschäftigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2014)

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