EU-Kommission: Eine Schamanin in Junckers Team

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FILE SLOVEINA EU-COMMISSIONER-DESIGNATE(c) APA/EPA/IGOR KUPLJENIK (IGOR KUPLJENIK)
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In Laibach wächst die Befürchtung, dass auch die zweite Kandidatin durchfallen könnte. Kommissionspräsident Juncker wird sein Team umbauen.

Laibach/Brüssel. Die ungewöhnlichste Biografie aller Kandidaten ist der von Slowenien für die EU-Kommission nachnominierten Organisationsfachfrau Violeta Bulc gewiss. In Schottland besuchte die 50-Jährige einst eine Schamanen-Akademie. In der brütenden Hitze der Sierra Nevada absolvierte die mehrere Jahre in Kalifornien lebende Unternehmensberaterin einen Trainerschein für Kurse im „persönlichen Wachstum“. Den schwarzen Taekwondo-Gürtel nennt die alternativ angehauchte Slowenin schon seit 1994 ihr Eigen: Als Fachfrau für „innovative Strategien“ hat sie in den letzten Jahren Unternehmen und Behörden beraten – und auch an mehreren Privatinstituten im Ausland doziert.

„Ich glaube an die positive Energie“, bekennt die politische Seiteneinsteigerin, die die erst im Juni gegründete Regierungspartei SMC von Premier Miro Cerar mit aufzubauen half. Ob die studierte Elektrotechnik-Ingenieurin sich damit für das Amt des für Energiefragen zuständigen EU-Kommissars qualifiziert, für das die Europaparlamentarier ihre früh gescheiterte Landsfrau Alenka Bratušek als inkompetent befanden, wird selbst innerhalb von Sloweniens Regierungskoalition bezweifelt.

„Zu wenig politische Erfahrung“

Außenminister Karl Erjavec von der Rentnerpartei DeSUS warnte in der offenbar sehr hitzig geführten Kabinettsdebatte, dass sich bei der Nominierung der erst seit Mitte September amtierenden, ressortlosen Ministerin für „strategische Entwicklung“ das von Bratušek erlittene Debakel wiederholen könnte: Bulc habe nicht genügend politische Erfahrung, um die Anhörung im Europaparlament zu überstehen. Auch der Chef der mitregierenden Sozialdemokraten, Dejan Židan, zeigte sich von der von Premier Cerar mit einer Rücktrittsdrohung durchgesetzten Nominierung von Bulc alles andere als erbaut: Seine Partei hatte sich für ihre Europaabgeordnete Tanja Fajon starkgemacht.

Bulc verfüge über die benötigten Kompetenzen und Führungsqualitäten, sei mit EU-Fragen vertraut und für die Position „sehr geeignet“, versicherte Premier Cerar. Von den bisher von Bulc angebotenen Brainstorm- und Teambuildung-Seminaren für den „innovativen Durchbruch“ könnte sicherlich auch die Brüsseler EU-Bürokratie profitieren. Auf welche Position EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker seine ihm aus Laibach angebotene Verstärkung unterbringen will, ist allerdings noch offen: Dies werde erst nach einem persönlichen Gespräch entschieden, so ein Sprecher in Brüssel.

Dieses Gespräch findet heute, Dienstag, in Brüssel statt. Juncker wird aller Voraussicht nach sein Team umbauen und könnte dann auch für Bulc einen anderen Posten anbieten als einst für Bratušek, die als eine der Vizepräsidentinnen vorgesehen war. Mehrere Änderungen in der Ressortverteilung sind schon allein deshalb unumgänglich, da für ein Ja im Plenum noch Forderungen der Europaabgeordneten erfüllt werden müssen. Der ungarische Kandidat, Tibor Navracsics, wurde nur unter der Bedingung angenommen, dass er ein anderes Aufgabengebiet als Kultur, Bildung und Bürgerrechte erhält. Umstritten war auch bis zuletzt die Zuteilung des Energieressorts an den Spanier Miguel Arias Cañete. Wirklich große Umverteilungen werden zwar nicht erwartet, doch könnte es sein, dass Juncker eine neue Balance vor allem in seinem Führungsteam der Vizepräsidenten sucht.

Bratušek sieht sich als Opfer

Die vom Umwelt- und Industrieausschuss des Europaparlaments abgelehnte slowenische Kandidatin Alenka Bratušek kehrte am Wochenende nach Laibach zurück. Sie will künftig wieder als normale Abgeordnete im nationalen Parlament arbeiten.

In einem Gespräch mit der „Welt“ zeigte sich Bratušek über ihr Scheitern betroffen. Die ehemalige Premierministerin äußerte sich selbstkritisch und über sich selbst enttäuscht. Gleichzeitig fühlt sie sich aber auch als Opfer einer falschen Beratung durch das Team von Juncker. Die beiden Ausschüsse seien problematisch gewesen, der eine voller Wirtschaftsliberalen, der andere voller Umweltschützer. Man habe ihr geraten, keine der beiden Gruppen zu enttäuschen, woraufhin sie viel zu vage geblieben sei. „Dumm von mir.“

Das Europaparlament wollte überzeugt werden. Das, so Bratušek, hätte sie gekonnt. Während andere wie der Brite Jonathan Hill eine zweite Chance in einem neuerlichen Hearing bekamen, musste sie heimfliegen. „Es war nicht fair, dass ich kein zweites Hearing bekommen habe“, sagte sie und spielte darauf an, dass andere Kandidaten wie der Franzose Pierre Moscovici eben über eine größere Einflussgruppe im Europaparlament verfügten als sie als Vertreterin einer kleinen Fraktion. (ros, wb)

WIE GEHT ES WEITER?

Heute, Dienstag, trifft der designierte neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit der slowenischen Ersatzkandidatin Violeta Bulc zusammen, um einen passenden Aufgabenbereich für sie festzulegen.

Noch diese Woche oder Anfang nächster Woche wird sich Bulc einem Hearing vor den zuständigen Ausschüssen des Europaparlaments stellen.

Am 22. Oktober sollte die Abstimmung über die gesamte neue Kommission im Plenum des Europaparlaments stattfinden. Dieser Termin könnte angesichts der Probleme verschoben werden.

Am 1. November sollte eigentlich die neue Kommission ihre Arbeit aufnehmen. Auch dieser Termin wackelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2014)

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