Zentrifugalkräfte in Zeiten der Krise

Die Finanz- und Schuldenkrise ließ die armen und vermögenden Regionen innerhalb der EU wieder weiter auseinanderdriften.

Brüssel. Dass es in der EU Gebiete mit unterschiedlicher wirtschaftlicher Ausrichtung und Reife gibt, zählt zu den unbestrittenen Stärken der Union – denn schließlich generiert dieser interne Nachholbedarf einerseits Wachstum und eröffnet den Regionen andererseits die Möglichkeit zur Spezialisierung. Voraussetzung für diese Harmonie ist allerdings, dass die ökonomischen Sahelzonen Europas mittels EU-Geldern in blühende Landschaften verwandelt werden – was als Kohäsion bekannt ist. Lange Zeit schritt die Kohäsion in der Tat voran – doch die Finanz- und Schuldenkrise, die seit mittlerweile fünf Jahren Europa im Griff hält, machte einen Teil dieser Arbeit zunichte.
Dies wird bei der Lektüre des von der EU-Statistikbehörde Eurostat veröffentlichten Jahrbuchs der Regionen 2014 ersichtlich. Die Experten haben darin eine Vielzahl ökonomischer und sozialer Indikatoren zusammengetragen und die Werte von 2008 mit jenen von 2012 verglichen – das Ergebnis zeigt das Ausmaß der durch die Krise ausgelösten Zentrifugalkräfte.

Eine der primären Kennzahlen in Zeiten der Rezession ist naturgemäß die Arbeitslosenquote, die in vielen Regionen in dramatische Höhen geschnellt ist. So gingen in der EU im Jahr 2012 insgesamt 68,3 Prozent aller Menschen im Alter von 20 bis 64 Jahren einer Beschäftigung nach – ein Rückgang um 1,9 Prozentpunkte gegenüber dem Jahr 2008. Hinter dieser Kennzahl verstecken sich allerdings gravierende Differenzen: Während beispielsweise in der griechischen Region Kentriki Makedonia die Beschäftigung um 11,9 Prozentpunkte auf 52,2 Prozent zurückging, verzeichnete Sachsen-Anhalt im selben Zeitraum ein Plus von 4,9 auf 75,1 Prozent. Starke Rückgänge gab es ebenfalls auf der iberischen Halbinsel (etwa ein Minus von 10,6 Prozentpunkten auf 50,4 Prozent in der spanischen Region Extremadura) sowie in Irland, Bulgarien und Kroatien. In Österreich wiederum verzeichnete Tirol mit einem Plus von 2,1 auf 78 Prozent das größte Plus, während die Beschäftigungsquote im Burgenland um 2,3 auf 73,7 Prozent nachgab.

Krisenbedingte Verwüstungen

Einen Überblick über die krisenbedingten Verwüstungen gibt auch die Entwicklung der kaufkraftbereinigten Wirtschaftsleistung pro Kopf (hier standen Eurostat die Zahlen für den Zeitraum 2008–2011 zur Verfügung). Auch hier war Griechenland besonders betroffen. Das Minus in der Region Ionia Nisia summierte sich in dem Zeitraum auf 19,1 Prozentpunkte – Ende 2011 machte das BIP pro Kopf dort 75,3 Prozent des EU-Durchschnitts aus. In der Extremadura waren es gerade einmal 66,6 Prozent – ein vergleichsweise geringes Minus von 4,3 Prozentpunkten, da die südspanische Region von vornherein großen Nachholbedarf hatte. Auch in der niederländischen Region Groningen ging es von 2008 bis 2011 steil bergab: ein Minus von 11,2 Prozentpunkten auf – immer noch durchaus respektable 181,2 Prozent des EU-Durchschnitts.

Am anderen Ende des Spektrums befindet sich übrigens Brüssel. Die belgische Hauptstadt, ein Zusammenschluss von 19 Gemeinden, kam 2011 auf ein bereinigtes BIP pro Kopf in der Höhe von knapp 222 Prozent des EU-Durchschnitts – und dieses BIP pro Kopf wuchs seit 2008 um 4,6 Prozentpunkte an. Auch Deutschland hatte eine gute Krise: In Niederbayern legte das BIP pro Kopf um 14,8 Prozentpunkte auf 125,2 Prozent zu, in Braunschweig um 15,4 auf 125 Prozent. Die beste Entwicklung in Österreich wies Salzburg auf: plus 6,6 auf 149,5 Prozent. (la)

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