Luxemburger Deals und Europas Wettbewerbslüge

BELGIUM EU PARLIAMENT CONFERENCE OF PRESIDENTS
BELGIUM EU PARLIAMENT CONFERENCE OF PRESIDENTSAPA/EPA/JULIEN WARNAND
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Leitartikel. Steuerwettbewerb ist wichtig, um Lasten zu begrenzen. Aber das System des Großherzogtums ist im Sinn von fairem Wettbewerb und Moral verwerflich.

Einst haben sie ihr Geld im Koffer in die Schweiz gebracht und vor wenigen Monaten – kurz vor der Übermittlung von Kontoinformationen an heimatliche Steuerbehörden – wieder abgezogen. Jetzt fahnden die Finanzämter nach diesen Personen. Es hat eine große Finanz- und Schuldenkrise gebraucht, damit die EU-Regierungen ihre Steuereintreibung scharf stellen. Der Staat braucht Geld und holt sich dieses nun bei jenen, die ihre Einnahmen nicht versteuert haben – ganz zu Recht. Die letzten Steuerschlupflöcher werden gestopft – ganz zu Recht.
Doch was ist der Unterschied zwischen den schlichten Tricks von Privatpersonen, die ihre unversteuerten Einnahmen in die Schweiz gebracht haben, und den ausgeklügelten Steuervermeidungskonstruktionen großer Konzerne, die ihre Gewinne über Scheinfirmen, Scheinzinsen und Scheinlizenzen aus Luxemburg fast brutto für netto absaugen konnten? Der Unterschied ist, dass es sich im Fall des Geldkoffers um schlichten Steuerbetrug handelt, im Fall der nun aufgedeckten Steuertricks um großteils legale Umgehungsmöglichkeiten mit Wissen der Luxemburger Behörden. Die einen werden ihre Steuerschuld samt Strafen nachzahlen müssen, die anderen höchstwahrscheinlich nicht belangt werden.

Nach dem Motto „Wer kann, der kann“ haben große Konzerne wie Amazon, Ikea und Co. die legalen Schlupflöcher genutzt, die ihnen von diesem Kleinstaat im Herzen der EU offeriert wurden. Was soll daran verwerflich sein?, mögen nun manche fragen.

Verwerflich ist die Chuzpe, mit der Luxemburg ganz wissentlich den Rest der europäischen Länder, aber auch die USA um ihre Steuereinnahmen geprellt hat, nur um selbst einen Gewinn daraus zu ziehen. Der neue EU-Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker, mag heute geschickt in seine neue Rolle schlüpfen und Untersuchungen über ein mögliches Fehlverhalten in seinem Heimatland ankündigen. Es war exakt in seiner Amtszeit als Finanzminister und später als Ministerpräsident, in der Luxemburg zum größten Investmentzentrum Europas aufstieg. Auch er darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Über das Großherzogtum flossen Milliarden an Euro. Hier wurden sie durch Umgehungskonstruktionen steuerlich reingewaschen.

Verwerflich ist das für die Steuermoral in ganz Europa. Denn jeder kleine Unternehmer wird sich fragen, warum er relativ hohe Zahlungen an seinen Staat leisten soll, wenn doch der große Konkurrent Gewinne in Zinsen und steuerfreie Lizenzen verwandeln darf, für die er dann nur einen Bruchteil an Lasten für die Allgemeinheit tragen muss.
Verwerflich ist aber auch, dass ein EU-Land, das mittlerweile den Kommissionspräsidenten stellt, den Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt verzerrt hat. Luxemburgs Steuervermeidungsgeschäft zahlt sich nämlich ausschließlich für Unternehmen mit großen Umsätzen aus. Klein- und Mittelbetriebe haben hingegen kaum eine Chance, diese Schlupflöcher zu nutzen. Einer der wichtigsten Grundsätze der Europäischen Union, der faire Wettbewerb im gemeinsamen Binnenmarkt, wird ad absurdum geführt. Beihilfen an lokale Unternehmen wurden von Brüssel zwar stets penibel kontrolliert und in vielen Fällen untersagt. Steuerkonstruktionen, die letztlich nur eine andere Form von Beihilfen darstellen, wurden aber stillschweigend geduldet.

Steuerwettbewerb ist eine notwendige Grundlage für den europäischen Binnenmarkt, damit die staatlichen Lasten gering und den Unternehmen ausreichende Mittel für Investitionen bleiben. Dieser Wettbewerb wird aber zur Lüge, wenn er nicht für alle auf derselben Basis stattfindet. Geheimabsprachen, Intransparenz und Deals zu Steuerleistungen zwischen staatlichen Stellen und einzelnen Unternehmen verwandeln den Binnenmarkt in einen schmutzigen, zwielichtigen Basar.

Luxemburg hat offiziell eine Unternehmenssteuer von 29 Prozent. Staaten wie Slowenien verrechnen 17 Prozent und haben dennoch keine Chance, im Steuer- und Standortwettbewerb mitzuhalten. Da stinkt etwas gehörig in Europa.

Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

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