Nahost: In Jerusalem geht die Angst vor einer dritten Intifada um

(c) REUTERS (AMMAR AWAD)
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Attentatsserie in Jerusalem und im Westjordanland: Palästinenser steuern Autos in Menschengruppen.

Jerusalem. Der Geist ist aus der Flasche, die Lage gerät immer stärker außer Kontrolle, die Gewaltserie reißt nicht ab. Am Kontrollpunkt Kalandia im Westjordanland brachen neue Unruhen aus, nach Zusammenstößen in Flüchtlingslagern in Ostjerusalem nahm die israelische Polizei vorübergehend mehr als ein Dutzend Palästinenser fest und verstärkte zugleich die Schutzmaßnahmen entlang der Straßenbahnlinie in der geteilten Hauptstadt, die zuletzt mehrfach Ziel von Anschlägen war.

Denn nach zwei neuen Anschlägen geht in Jerusalem die Angst vor einer neuen Intifada um. Ein israelischer Grenzpolizist starb und 17 Israelis trugen Verletzungen davon, als zwei voneinander unabhängige Angreifer ihre Autos in Menschengruppen steuerten. In Jerusalem überwältigten Sicherheitsleute den palästinensischen Autofahrer Ibrahim al-Akri, der mit einer Eisenstange bewaffnet noch weitere Menschen angriff, bevor er mit Schüssen niedergestreckt und getötet wurde.

Bei dem zweiten Anschlag im Westjordanland konnte der Fahrer flüchten, nachdem er drei Soldaten an einer Straßenkontrolle zum Teil schwer verletzte. Der Mann stellte sich später freiwillig. Für den Anschlag in Jerusalem übernahm die Hamas die Verantwortung. Die Islamisten priesen al-Akri als „Märtyrer“ und lobten seine „heroische Operation“.

„Die Intifada ist schon da“, schreibt der Kommentator Ron Ben-Yishai in der Zeitung „Jediot Ahronot“. Der aktuelle Protest trägt die Züge der ersten Intifada Ende der 1980er-Jahre, als junge Palästinenser mit Steinen und Molotowcocktails gegen die Besatzung kämpften. Neu ist die Mordwaffe Auto. Immer öfter rasen Einzeltäter mit ihren Pkw in Menschengruppen, meist in Jerusalem.
Meist haben die Täter Verbindungen zur Hamas oder anderen Terrorgruppen, wobei die Art der Anschläge keine aufwendige Planung oder Logistik nötig macht – wie etwa die Sprengstoffattentate der zweiten Intifada zu Beginn des neuen Jahrtausends. Schon twittern Palästinenser Fotomontagen, auf denen das Gaspedal durch ein Gewehrmagazin ersetzt ist, oder auf denen vor dem Hintergrund der Al-Aqsa-Moschee ein Soldat an der Kühlerhaube eines Autos klebt.

Streit um den Tempelberg

Hauptgrund für die neue Gewaltwelle ist der Streit um den Tempelberg, auf den sich die Krawalle in Jerusalem konzentrieren. Eine Gruppe ultranationaler Juden drängt darauf, die Verwaltung, die derzeit der Wakf (Stiftung des Islamischen Rechts) und in letzter Instanz dem jordanischen König untersteht, unter jüdische Kontrolle zu stellen. Jehuda Glick, der vorige Woche nur knapp einem palästinensischen Mordanschlag entkam, gehört zu den Rädelsführern.

Israels Premier Netanjahu betonte in der Nacht zum Donnerstag, dass es „keine Veränderungen des Status quo“ auf dem Tempelberg geben werde. „Wir führen einen Krieg um Jerusalem.“ Die palästinensischen Muslime lehnen indes allein das Gebetsrecht für Juden an den heiligen Stätten und die unregelmäßigen Besuchsrechte, vor allem für muslimische Männer unter 50 Jahren, ab.
Aus Protest gegen die Polizeigewalt an der Gebetsstätte zog Jordanien den Botschafter aus Tel Aviv ab. Die Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg sei, so zitiert die palästinensische Nachrichtenagentur Maan die Kassam-Terrorbrigaden der Hamas, „die Sprengkapsel, die den Vulkan zum Ausbruch bringt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2014)

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