Petropolitik: Billiges Öl untergräbt Macht der Autokraten

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Die Saudis bringen Russland und Iran unter starken Druck. Für die USA ist der fallende Ölpreis Segen und Fluch zugleich.

Washington/Wien. Amerikas Autofahrer jubeln: Erstmals seit Jahren liegt der durchschnittliche Benzinpreis an den Tankstellen unter drei Dollar pro Gallone. Dieser für europäische Verhältnisse erstaunlich niedrige Spritpreis von umgerechnet rund 63 Eurocent pro Liter verdankt sich zu einem Großteil einer bewussten politischen Entscheidung, die heuer in der saudischen Hauptstadt, Riad, getroffen wurde. Der größte Ölproduzent der Welt hat beschlossen, den Ölpreis absacken zu lassen. Trotz schwächelnder globaler Konjunktur drosseln die Saudis ihre Produktion nicht so stark, wie sie das in früheren Zeiten getan haben.

Das Ergebnis ist ein Weltmarktpreis, der stetig Richtung 80 Dollar sinkt – und ein Jahrzehnt des politischen Machtgewinns autokratischer Regime von Caracas über Teheran bis Moskau beenden könnte. Denn die breite öffentliche Zustimmung, die den Aufstieg von Wladimir Putin in Russland ebenso gestützt hat, wie sie den Chávez-Nachlassverwalter Nicolás Maduro in Venezuela im Amt hält und verhindert, dass das iranische Volk seine theokratischen Herrscher stürzt, beruht auf üppigen Öleinnahmen.

Doch diese Quelle erkaufter Herrschaft versiegt nach und nach. Ed Crooks, leitender Energieredakteur der „Financial Times“, hat neulich vorgerechnet, ab welchem Ölpreis die Budgets mehrere Autokratien ins Defizit kippen: Venezuela schreibe rote Zahlen, sobald der Preis unter 160 Dollar falle, der Iran brauche mindestens 130 Dollar, Russland 110 und Saudiarabien selbst 90 Dollar.

Solche Preisniveaus sind im kommenden Jahr unwahrscheinlich. Denn weder ist ein Erstarken der Weltwirtschaft und damit der Nachfrage zu erwarten, noch machen die Saudis Anzeichen, weniger Öl zu fördern. Kein Wunder: Die Fremdwährungsreserven von rund 750 Milliarden Dollar reichen aus, um drei saudische Jahresbudgets voll zu finanzieren, sagt der Nahost-Fachmann David Ottoway vom Wilson Center, einem Washingtoner Thinktank. Zeit genug, um den Iran, Saudiarabiens Erzrivalen im Ringen um die Vormachtstellung im Nahen Osten, gehörig unter Druck zu setzen. Diese budgetären Nöte erhöhen den Druck auf die Regierung in Teheran, einer Einigung über die dauerhafte Beendigung seiner Atomwaffenpläne zuzustimmen.

Kreml wertet Rubel verzweifelt ab

Russland wiederum kann vorerst noch ein ausgeglichenes Budget schaffen – und zwar dank der Abwertung des Rubels, der seit Jahresbeginn um knapp 45 Prozent zum Dollar an Wert verloren hat. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums weist das Budget in den ersten zehn Monaten 2014 einen Überschuss von 1,9 Prozent des BIPs auf, was nicht weit vom Vorjahreswert abweicht.

Aber das verdankt sich der Zahlenkosmetik durch die Abwertung, die das Problem nur temporär verhüllen kann. Bliebe der Ölpreis um 20 Dollar unter den veranschlagten 96 Dollar, mit denen die russische Zentralbank diverse Budgetvarianten durchgerechnet hat, entgingen dem Kreml rund 1,4 Billionen Rubel (24 Milliarden Euro), rechnet Igor Nikolajew, Chef des Finanzdienstleisters FBK, vor: Ausgabenkürzungen seien ab 2015 unvermeidlich. Wo diese stattfinden sollen, ist fraglich. Präsident Wladimir Putin hat nicht nur neue Rüstungsausgaben angekündigt, sondern der ukrainischen Halbinsel Krim, die Russland im Frühjahr annektiert hat, Infrastrukturausgaben in Milliardenhöhe versprochen.

Zudem hat Russland seit Jahresbeginn 13 Prozent seiner Fremdwährungsreserven verbraucht, die sich nun auf 428,6 Milliarden Dollar belaufen. Das meiste sei für Stützungskäufe zur Stabilisierung des Rubel-Kurses draufgegangen, sagt Will Pomeranz, Professor für russisches Recht in Georgetown.

Schatten über US-Schiefergasboom

Für die USA ist der fallende Ölpreis Segen und Fluch zugleich. Einerseits braucht die US-Industrie mehr fossile Energie als jene in Japan oder Europa; billiges Öl ist ihr also dienlich. Andererseits werden viele Projekte zur Erschließung von Schiefergas in den USA nun unrentabel. Es lässt sich bereits mancherorts ein Stopp neuer Investitionen bemerken. Die Saudis versuchen somit, nicht nur dem Iran zu schaden, sondern auch die amerikanische Ambition zu stoppen, in einigen Jahren zum größten Öl- und Gasproduzenten der Welt zu werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2014)

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