Landwirte in Existenznöten

(c) APA/GERT EGGENBERGER
  • Drucken

Wegen des Skandals um verseuchte Lebensmittel im Kärntner Görtschitztal kämpfen die Landwirte ums Überleben.

Ich dachte, ich höre nicht richtig“, erzählt Thomas Liegl über das, was am 27.November aus dem Radio kam. „Plötzlich hieß es, man soll keine Milch aus dem Görtschitztal trinken.“ Die Milch seiner Kühe. Die Milch, die seine dreijährige Tochter täglich getrunken hat. „Ich war baff. Ich bin einer der betroffenen Landwirte, ein Vollerwerbsbauer mit Biobetrieb, mit Buschenschank und einem Ab-Hof-Verkauf. Und ich habe von dem HCB-Skandal nur aus den Nachrichten erfahren. Das ist ein Wahnsinn“, ärgert sich der 28-jährige Landwirt aus Wieting.

Der Ort, der bei der Volkszählung 2001 mit 278 Einwohnern erfasst wurde, gehört als Katastralgemeinde so wie auch als auch Ortsteil zur Gemeinde Klein Sankt Paul im politischen Bezirk Sankt Veit an der Glan. Jene Gegend also, von der in den vergangenen Tagen und Wochen landesweit die Rede war, nachdem Greenpeace bekannt gegeben hatte, dass in Milchprodukten aus der Region die Grenzwerte für das Umweltgift Hexachlorbenzol (HCB) überschritten wurden. Und schon bald das Zementwerk von Wietersdorfer & Peggauer als mutmaßlicher Verursacher ins Blickfeld geriet. HCB-belasteter Blaukalk der Donauchemie in Brückl war hier verarbeitet worden. Und über dadurch kontaminiertes Tierfutter gelangte das Gift in den Nahrungskreislauf und sorgte für die Überschreitung von Grenzwerten bei Fleisch und Milchprodukten. Was in der Bevölkerung für massive Verunsicherung sorgte – und für Gesundheitstests, die nun nach und nach durchgeführt werden. Schwierigkeiten bedeuteten die Vorkommnisse aber auch für die Landwirte der Region.


Besuch der Kontrolleure. Vor zwei Jahren haben Thomas Liegl und seine Frau Armela den Irregger-Hof der Eltern übernommen. „Mit unserer Milch haben wir die Berglandmilch beliefert“, sagt er. Am 1.Dezember kamen Lebensmittelkontrolleure zu ihm. Das Ergebnis war schlimmer als befürchtet. „Mir wurde telefonisch mitgeteilt, dass der Hexachlorbenzol-Grenzwert bei unserer Milch vierfach überschritten ist“, erzählt er. Ob davon etwas in den Handel gekommen ist? „Das kann ich nicht sagen.“ Ein schriftliches Untersuchungsergebnis hatte er noch nicht. Auch seinen Topfen, seinen Glundner-Käse, seine Butter, seinen Speck und seine Salami hat Liegl testen lassen. Die Resultate stehen noch aus. „Zuerst war ich nur ratlos“, sagt Liegl. Jetzt ist er sauer. „Auf Behörden, auf Politiker, aber auch auf andere Landwirte.“ Er sagt: „Einige Bauern haben seit April von der HCB-Belastung gewusst. Warum haben die uns, ihre Kollegen, nicht gewarnt?“ Die wären moralisch dazu verpflichtet gewesen, findet Liegls Ehefrau.

Hinter ihr an der Wand hängen Medaillen und Urkunden: Auszeichnungen für ihre Produkte. Jetzt liegen Wurst und Käse im Labor und müssen auf Umweltgift untersucht werden. „Ich kann das alles nicht glauben“, flüstert die Frau. Mit ihrer kleinen Tochter – „die so gern die eigene Milch getrunken hat“ – war die Mutter in Graz, um das Blut auf HCB untersuchen zu lassen. Auch auf dieses Ergebnis wartet sie noch. Die Kleine trinkt derzeit gekaufte Milch aus der Packung. „Unsere eigene Milch wird mit nach Simmering verbracht, wo sie angeblich verbrannt wird“, sagt Thomas Liegl. Auch das Futter für die Kühe darf er nicht mehr verwenden. „Mir wurde Ersatzfutter für drei Wochen geliefert. Der Frächter hat gesagt, das Heu sei aus Italien. Meine Kühe fressen das gar nicht gern.“ Die Situation sei pervers: Oben im Stadel lagert Futter von den eigenen Feldern und darf nicht verwendet werden, unten im Stall fressen die Kühe das italienische Futter.

„Die größte Schweinerei“.Liegls Vater Manfred findet klare Worte. „Das alles ist die größte Schweinerei.“ Tränen rinnen ihm über das Gesicht. „Durch den HCB-Skandal wurde unsere harte Arbeit mit einem Schlag zunichtegemacht. Für uns ist das eine Existenzfrage“, sagt der Altbauer. Paul Wolf, Anwalt der Familie, bereitet nun eine Klage gegen die W&P-Zementwerke vor, die als Verursacher für den HCB-Skandal gelten. Würste, Speck und andere Produkte der Liegls will keiner mehr kaufen. „Kunden haben Lebensmittelbestellungen für Weihnachten storniert. Sie haben Angst. Daher habe ich den Ab-Hof-Verkauf gestoppt. Ich will ja nichts Schlechtes verkaufen.“ Einige Kunden hätten gefragt, warum er Lebensmittel angeboten hat, obwohl er vom HCB wusste. „Aber ich wusste es nicht. Das kann ich den Leuten nur immer wieder sagen.“ „Unseren Hof gibt es seit 200 Jahren“, sagt Thomas Liegl. „Er hat viel überstanden. Ich denke, er wird auch das überstehen.“


Zum Teil wüst beschimpft. Beinahe jeden Tag kommt der Görtschitztaler Milchbauer Hans Erlacher am Zementwerk vorbei. Seine Gefühle beschreibt er als Mischung aus Ungewissheit, Enttäuschung und Zorn. Auch er hatte vor zwei Wochen noch mit dem Zorn anderer zu kämpfen. „Ich wurde zum Teil wüst beschimpft“, erzählt der 59-Jährige über jene Zeit, in der die Milchbauern noch als die Schuldigen galten. In der Zwischenzeit habe sich der Wind gedreht.

An der psychischen Belastung und den schlaflosen Nächten kann das aber nur wenig ändern. „Existenzängste begleiten mich. In der Region gibt es außer der Milchwirtschaft ja nicht viele Möglichkeiten.“ Für den Klein St. Pauler ist es nicht der einzige Schicksalsschlag. Vor über zwei Jahren bekam er die Diagnose Prostatakrebs. Mit der Schulmedizin hat der dreifache Familienvater abgeschlossen. Er setzt auf alternative Methoden und die Heilkräfte der Natur. Dass gerade jene Produkte aus Wäldern und Gärten mit krebserregendem HCB kontaminiert sind, ist eine tragische Facette dieses Skandals, an die Erlacher lieber nicht denken will. Die vom Land angebotenen Blutuntersuchungen hält er nur bedingt für sinnvoll. Teilnehmen will er dennoch. Nicht für sich, aber für die restlichen Görtschitztaler. „Ich habe die Hoffnung, dass mein Ergebnis andere beruhigen kann.“

SkandalHistorie

Vor über 80 Jahren begann die Donauchemie unproblematischen Blaukalk mit hochgiftigen Abfällen vermischt im Kärntner Brückl zu deponieren. Die Deponie gilt als eine der gefährlichsten in Österreich. Seit 2012 wird der Abraum verwertet – u. a. im nahen Zementwerk von Wietersdorfer. Dabei dürfte Hexachlorbenzol in die Abluft gelangt sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Recht allgemein

HCB-Skandal: Wenn Chemikalien Schäden auslösen

Die Belastung des Görtschitztals mit Hexachlorbenzol wirft Fragen nach Ersatzansprüchen von Anrainern auf. Zuerst müssen aber Vorfragen geklärt werden.
Österreich

Rechenspiele: Ab wann wird HCB gefährlich?

Laut Kärntner Landesregierung »garantiert keine Gesundheitsgefährdung« durch Umweltgift Hexachlorbenzol. Was niemand sagt: Das gilt nicht für chronische Belastungen und mögliche Krebsrisiken.
AGES: MASSENSPEKTROMETER
Österreich

HCB-Skandal: Die dunkle Seite des Zements

Hexachlorbenzol in Kärnten, Quecksilber und Blei in ganz Österreich: Durch die Recyclingvorgaben der Politik stellen sich Umweltfragen, über die man bisher nicht öffentlich gesprochen hat.
Symbolbild
Österreich

Trotz Entwarnung: Greenpeace mahnt weiter zur Vorsicht

Es sei nicht bekannt, wie viel HCB in die Umwelt gelangt sei, so die Umweltorganisation. Die Angaben schwanken zwischen 25 und 900 Kilogramm.
Andreas Khol
Leitartikel

Wenn Verantwortungslosigkeit amtlich wird

Im Umgang mit dem jüngsten Umweltskandal in Kärnten schiebt die Lokalpolitik die Verantwortung von sich. Das kennen wir vom Fall Hypo Alpe Adria.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.