Eurokrise: Milliarden statt Eulen nach Athen tragen

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Warum ein Schuldenschnitt, in welcher Form auch immer, (nicht nur) in Griechenland unausweichlich ist, die Regierung in Athen dafür aber noch lange nicht die unbedingt notwendigen Voraussetzungen geschaffen hat.

Die in den vergangenen Tagen hochgespielte Frage, ob man den Griechen den von ihrem möglichen (beziehungsweise wahrscheinlichen) künftigen Premier Alexis Tsipras gewünschten Schuldenschnitt gewähren oder sie doch lieber aus der Eurozone werfen sollte, gehört nicht gerade zu den intelligentesten Themenstellungen. Der Grexit, das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, wäre ja auch ein Schuldenschnitt. Und zwar mit ziemlicher Sicherheit der größtmögliche.

Deutschland würde in diesem Fall 75 Mrd. Euro verlieren, Österreich wohl so um die fünf, sechs. Das ist kein Szenario, das man ernsthaft ins Auge fassen sollte. Zumindest so lange, als es sich halbwegs vernünftig vermeiden lässt.

Zu glauben, dass man mit einem Schuldenpaket von fast 180 Prozent des BIPs und einer darniederliegenden Wirtschaft aus der Schuldenkrise „herauswachsen“ könne, ist freilich auch ein bisschen sehr blauäugig. Egal, ob man die viel kritisierte Rogoff-Regel ernst nimmt, wonach Schuldenquoten über 90 Prozent das Wirtschaftswachstum (und damit die Möglichkeit, die Schuldenquote durch Wachstum substanziell zu verkleinern) dramatisch einbremsen, oder ob man den Point of no Return ein paar Prozentpunkte höher ansetzt: Bei dreistelligen Schuldenquoten ist es mit der Fähigkeit zur Selbsthilfe schnell vorbei. Da nimmt der Zinsendienst jeden wirtschaftspolitischen Spielraum.

Es wird also, Ideologie hin oder her, einen Schuldenschnitt geben. Entweder geordnet. Oder, wie in der Eurozone gewohnt, verdeckt (etwa durch eine Endlos-Erstreckung der Kredite). Oder eben auf die für beide Seiten ganz harte Tour, durch den Grexit.

Variante drei heißt Staatsbankrott in Griechenland, Variante zwei garantiert ein Weiterschwelen der Eurokrise bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Variante eins wäre die saubere, erfordert aber politischen Mut. Denn bei einem Schuldenschnitt um die Hälfte (so viel wäre mindestens nötig) werden beispielsweise die deutschen Steuerzahler mit 40 und die österreichischen mit bis zu vier Mrd. Euro bluten. Zu kommunizieren, dass dieses Geld so oder so längst weg ist, ist für Politiker, die wiedergewählt werden wollen, leider nicht so einfach.

Bei der Gelegenheit könnte dann gleich auch in dem Punkt klarer Wein eingeschenkt werden, dass dieser Schuldenschnitt (in welcher Form auch immer er durchgeführt wird) nicht der letzte sein wird. Immerhin liegen die Schuldenquoten schon in sechs Euroländern über 100 Prozent des BIPs, und ein weiteres, nämlich Frankreich, ist gerade dabei, diese Hürde zu überspringen.

Mehr Sorgen als um Griechenland sollten wir uns derzeit (wegen des schieren Volumens) ohnehin um das zweithöchst verschuldete Euroland, nämlich Italien, machen. Im Gegensatz zu Griechenland, Spanien oder Portugal, wo Reformen schon zu greifen beginnen und wichtige Indikatoren erstmals seit Beginn der Krise – wenn auch zaghaft – wieder nach oben deuten, rollt das höchst reformunwillige Italien weiter auf einer schiefen Ebene nach unten.

Es wird in Griechenland, ob wir das nun wollen oder nicht, zu einem (offenen oder verdeckten) Schuldenschnitt kommen, so viel steht fest. Es ist aber auch klar, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist. Ein Schuldenerlass in dieser Situation hätte für das griechische Budget ungefähr den gleichen Effekt wie eine zusätzlich draufgepappte Vermögensteuer für das österreichische: Nach zwei Jahren wären wir wieder in der Ausgangssituation. Das ergibt keinen Sinn.

Der Grund liegt einfach darin, dass Griechenland zwar schon sehr umfassende Reformen auf den Weg gebracht hat (die auch erste positive Auswirkungen auf die Wirtschaftsdaten zeigen), aber eben noch nicht alle. Viel getan worden ist bei den früher ausufernden Sozialkosten. Zum Teil so viel, dass Korrekturbedarf in die andere Richtung besteht. Denn dass sich fast ein Drittel der Bevölkerung die Krankenversicherung nicht mehr leisten kann, ist für ein EU-Mitgliedsland einfach nur beschämend.
Sehr wenig sieht man dagegen bei der realen Durchsetzung der Steuerbestimmungen, bei der fürchterlichen Überbürokratisierung und bei der alle Lebensbereiche überwuchernden Korruption.

Das deutet darauf hin, dass die ganze Last der Sanierung derzeit von der „gemeinen“ Bevölkerung getragen wird, während die politischen (und überwiegend auch die wirtschaftlichen) Eliten noch gar nichts begriffen haben. Solange diese Punkte nicht unter Kontrolle sind, ist jeder Schuldenschnitt reine Zeit- und Geldverschwendung. Ob da ein Linkspopulist wie Tsipras, der unter anderem die Einstellung von 300.000 zusätzlichen Beamten verspricht, der richtige Mann am Ruder ist, darf man wohl eher bezweifeln.

Eigentlich kann man nur hoffen, dass auch in Athen endlich Vernunft einkehrt. Das Land macht neuerdings einen (wenn auch mithilfe der Troika etwas schöngerechneten) Primärüberschuss, wäre an sich also sanierungsfähig – wenn die Zinslast für die Schulden nicht wäre. Die Voraussetzung dafür, dass diese auf die saubere Art verringert werden können, muss Athen aber schon selbst schaffen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2015)

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