Belgien als Brutstätte für „Gotteskrieger“

BELGIUM ANTI TERRORIST ACTION
BELGIUM ANTI TERRORIST ACTION(c) APA/EPA/JULIEN WARNAND (JULIEN WARNAND)
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Auffällig viele Belgier sind in den Jihad gezogen. Nach der Antiterroraktion will Brüssel nun entschlossener gegen Extremisten vorgehen.

Es ging darum, Schlimmeres zu verhindern: Diese Botschaft stand am gestrigen Freitag im Mittelpunkt der behördlichen Stellungnahmen zum landesweiten Antiterroreinsatz der belgischen Sicherheitskräfte Donnerstagabend, bei dem zwei mutmaßliche islamistische „Gotteskrieger“ getötet und 13 weitere Personen verhaftet worden waren; zwei weitere Verdächtige wurden in Frankreich gefasst. In der ostbelgischen Stadt Verviers, in Brüssel und Umgebung wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt – gefunden haben die belgischen Beamten unter anderem Kalaschnikow-Sturmgewehre, Sprengstoff sowie Polizeiuniformen. Ziel der Gruppe sei es gewesen, „Polizisten auf der Straße oder in Kommissariaten zu töten“, sagte Staatsanwalt Eric Van der Sypt gestern.

Die Identität der mutmaßlichen Terroristen ist vorerst nicht bekannt – nur so viel: Bei den zwei getöteten Männern, die sich in Verviers ein heftiges Feuergefecht mit der Polizei geliefert haben, soll es sich um belgische Staatsbürger handeln. Dem Vernehmen nach sind auch einige Heimkehrer aus dem Bürgerkrieg in Syrien unter den Verdächtigen – die belgischen Behörden haben offenbar die Terrorzelle seit Wochen observiert und die Telefonate ihrer Mitglieder abgehört.

Die belgische Regierung will aus dieser Erfahrung ihre Lehren ziehen: Während Premierminister Charles Michel die zweithöchste Terrorwarnstufe ausrief, beriet das Kabinett über ein Zwölf-Punkte-Maßnahmenpaket. Geplant sind unter anderem eine Reform der belgischen Staatssicherheit, die Ausweitung der Abhöraktionen sowie der Schutz öffentlicher Einrichtungen durch das belgische Militär – verstärkte Sicherheitsmaßnahmen gelten seit gestern übrigens auch für die Institutionen der Europäischen Union. Ebenfalls angekündigt wurde ein härteres Vorgehen gegen belgische Islamisten, die in den Jihad im Nahen Osten ziehen. Angedacht sind unter anderem Ausreiseverbote für mutmaßliche Gotteskrieger sowie – in extremis – die Aberkennung der belgischen Staatsbürgerschaft. Parallel dazu will man sich verstärkt um die Integration der Muslime in die belgische Gesellschaft bemühen. Nach einem Bericht der Tageszeitung „Le Soir“ plant die Region Brüssel die Schaffung eines islamischen Bildungsinstituts – Ziel sei die Förderung eines „modernen, humanistischen und belgischen“ Islam, sagte der für Unterrichtsfragen zuständige Beamte der Zeitung.

Bereits 100 Jihad-Heimkehrer

Dass Belgien ein Problem mit dem gewaltbereiten Islamismus hat, ist nichts Neues. Geschätzte 300 belgische Staatsbürger schlossen sich in Syrien und im Irak dem sogenannten Islamischen Staat an – auf die Bevölkerungszahl (elf Mio.) umgerechnet stellt Belgien damit europaweit das größte Jihadisten-Kontingent. Nach Angaben der belgischen Regierung sind rund 100Gotteskrieger bereits heimgekehrt – möglicherweise mit der Absicht, Anschläge in der Heimat zu verüben.

Der Anteil der Muslime an der belgischen Bevölkerung liegt bei rund fünf Prozent. Experten gehen davon aus, dass die Kinder der ehemaligen Gastarbeiter aus Nordafrika besonders stark von der Arbeitslosigkeit betroffen sind – was ein möglicher Grund für die Radikalisierung sein könnte. Trotz der Tatsache, dass Belgien kein unmittelbares Opfer der Eurokrise ist, liegt die Jugendarbeitslosigkeit im hohen zweistelligen Prozentbereich – laut OECD ist im Großraum Brüssel nahezu jeder zweite Jugendliche auf Arbeitssuche.

Doch als Erklärung für die Gewaltbereitschaft taugt die Arbeitsmarktlage nur bedingt: Besonders erfolgreich sind die Extremisten nämlich im wirtschaftlich prosperierenden Flandern, wo die Jugendarbeitslosigkeit bei rund 16 Prozent liegt. Von Flandern aus agierte auch das 2010 gegründete Netzwerk Sharia4Belgium, dessen Anführer, Fouad Belkacem, unter anderem das Kalifat in Belgien ausrufen und das Brüsseler Wahrzeichen Atomium in die Luft sprengen wollte. Belkacem und 45 seiner Mitstreiter wird derzeit in Antwerpen der Prozess gemacht – die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Gründung einer terroristischen Organisation sowie die Anstiftung zur Gewalt vor. Sharia4Belgium habe demnach rund 30 Personen für den Jihad im Nahen Osten angeworben. Belkacems Verteidiger argumentieren, ihr Mandant sei ein Aktionskünstler nach dem Vorbild von Pussy Riot.

Das Urteil im Prozess gegen Sharia4Belgium hätte ursprünglich dieser Tage gefällt werden sollen. Aufgrund der Terroranschläge in Paris wurde es verschoben. Sollten Belkacem und seine Mitstreiter schuldig gesprochen werden, drohen ihnen 15 bis 20 Jahre Haft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2015)

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