Siegfried Beer: „Helmut Zilk war glasklar ein Spion“

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Der Geheimdienst-Experte Siegfried Beer über Wien als Mekka der Spione, warum er eine Kommission im Fall Zilk für nicht notwendig hält und sich für die österreichischen Archive schämt.

Die Presse: Dass die tschechischen Dokumente über Helmut Zilk echt sind, steht mittlerweile außer Zweifel, aber steht auch die Wahrheit drinnen?

Siegfried Beer: Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der Inhalt grob falsch ist. Freilich hat der unter Druck des russischen KGB stehende CSSR-Geheimdienst immer wieder etwas erfunden. Aber bei Zilk gibt es nichts, was es zu erfinden gegeben hätte. Es sind ja eher banale Sachen.

Braucht es dennoch eine Historikerkommission zu Aufklärung?

Beer: Nein, weil der Fall glasklar ist. Dafür müssen keine zusätzlichen Gelder vom Steuerzahler ausgegeben werden. Das heißt aber nicht, dass Historiker nicht weiter forschen sollen.

War Zilk ein Spion?

Beer: Er war meiner Ansicht nach ohne Zweifel ein Spion, weil sein Handeln unter den Tatbestand der Spionage fällt, was gerichtlich mit einer Höchststrafe von bis zu zwei Jahren ahnbar war. So ist 1971 ein Beamter aus dem Innenministerium für einen ähnlich gelagerten Fall für zehn Monate ins Gefängnis gegangen, obwohl er für seine Reise nach Prag nur einen Spesenersatz in der Höhe von 500 Kronen (damals umgerechnet 300 Schilling, Anm.) bekommen hat. Er wurde am 25.Februar 1971 von seinem Schreibtisch weg verhaftet, nach Paragraf 17 Staatsschutzgesetz verurteilt.

Was ist der Unterschied zwischen einem Spion, einem Agenten und einem Informanten?

Beer: Ein Agent ist speziell ausgebildet, weiß, für wen er arbeitet, und nimmt auch die damit verbundenen Gefahren in Kauf. Ein Informant ist jemand, der nicht weiß, dass er Informationen an jemanden weitergibt, der gewisse Hintergedanken damit verfolgt. Ein Spion ist ein Mittelding. Er gibt Informationen gegen leichte Bezahlung weiter, wobei dieses Handeln durch die Gesetzeslage eines Staates als strafbar definiert ist. So wie im Fall Zilk. Für einen Agenten hat er zu wenig Geld bekommen.

War Zilk naiv?

Beer: Ja. Was aber auch verständlich ist. Er war als redseliger Mann mit der Gesandtschaft der damaligen CSSR in Wien in Kontakt. Dass er sich auch in Prag mit Leuten getroffen hat, zeigt aber, dass er gewusst hat, mit wem er es zu tun hat. Seine Einschränkung, dass die Informationen nicht zum Schaden Österreichs verwendet werden dürfen, zeigt auch, dass er wusste, dass man ihn somit nicht belangen konnte. Aber noch zwei Jahre lang Geld zu nehmen ist tatsächlich naiv.

Von Wegbegleitern und Familienangehörigen gibt es harsche Proteste gegen die Anschuldigungen.

Beer: Kurt Scholz (ehemaliger Zilk-Sekretär, Anm.) ist Historiker, weshalb ich sein Verhalten nicht verstehen kann. Dagmar Koller muss man sagen, dass das, was ihr Helmut gemacht hat, eben nicht koscher war.

Es scheint zur österreichtypischen Täter-Opfer-Umkehr zu kommen: Zilk habe die Kontakte nur zum Wohle seiner ORF-Sendung und der Reformbestrebungen in der CSSR unterhalten.

Beer: Niemand streitet seine Meriten ab. Man muss aber auch sagen können, dass er einen Fehler gemacht hat. Es geht um die historische Wahrheit. Zilk hatte keinen Kontakt mit dem tschechoslowakischen Inlandsgeheimdienst StB. Der war die innere politische Polizei der CSSR. Mit dieser regimetreuen Bande hätte Zilk nichts zu tun haben wollen. Vielmehr war Zilk mit der vom Innenministerium geführten Abteilung für Auslandsspionage in Kontakt. Wesentliche Teile dort gehörten während des Prager Frühlings zu den Reformbefürwortern. Diese liberale Strömung deckt sich mit der journalistischen Linie von Zilk. Das entlastet ihn. Er hat eben gedacht, dass das politisch passt.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Gerd Bacher?

Beer: Ich nehme ihm nicht ab, dass er nichts gewusst hat. Er ist aus Salzburg und dort mit Sicherheit bei den Amerikanern in der österreichischen CIA-Zentrale ein und aus gegangen. Journalisten wie er, Fritz Molden oder Alfons Dalma waren natürlich Kandidaten als Gesprächspartner und Informanten. Es hört sich aber auf, wenn Geld fließt. Und Zahlungen von 5000 Schilling wie an Zilk waren kein Kinkerlitzchen.

Über den später zum CIA übergelaufenen ehemaligen tschechoslowakischen Geheimdienst-Spion Jaroslav Bittmann, mit dem Zilk in Wien Kontakt hatte, soll die österreichische Staatspolizei vom CIA bereits 1969 über die Machenschaften Zilks informiert worden sein. Dort wurde allerdings nichts unternommen. Wie erklären Sie sich das?

Beer: Das ist typisch österreichisch: Da wird einer erwischt, hat aber keine Feinde. Die Staatspolizei war damals ja sozialistisch dominiert. Zilk war eben ein beliebter Mann. Und ein bisserl Glück hat er halt auch gehabt.

Warum war Österreich damals ein derart beliebtes Aufmarschgebiet für Agenten und Spione?

Beer: Diese Tradition reicht bis in die Monarchie und Zwischenkriegszeit zurück. Hier, an der Grenze zwischen Ost und West, hat sich seit jeher mehr abgespielt, als es der Größe des Landes entsprechen würde. Laut Bittmann war Wien für Geheimdienstler ein „Traumjob“. Unter anderem, weil auch, wenn man erwischt wurde, einem dank diplomatischen Schutzes nicht viel passierte.

Was wurde hier konkret spioniert?

Beer: Es ging um Information, Desinformation, aber auch Einfluss auf die Meinungsbildung. In einem Gespräch mit mir hat Bittmann diesbezüglich die Konzentration an ausländischen Medien in Österreich herausgestrichen. Die meisten westlichen Zeitungen, Radio- und TV-Stationen hatten damals keine permanenten Journalisten in Prag, Budapest oder Warschau – aber in Wien. Es war laut Bittmann wichtig, einige dieser Korrespondenten zu rekrutieren, um Einfluss auf die Berichterstattung zu gewinnen. So gab es laut Bittmann damals Pläne der Tschechoslowakei, die für die Kommunisten unverdächtige Zeitung „Die Furche“ zu kaufen. Die war ihnen aber dann doch zu teuer.

Wien galt damals als Mekka der Geheimdienste. Ist das immer noch so?

Beer: Daran hat sich nichts geändert. Man muss sich nur die Größe der Botschaften ansehen. Neben dem diplomatischen Dienst gibt es aber auch Unternehmen, für die offiziell gearbeitet wird, beispielsweise als Journalist oder für eine Fluglinie.

Zilk wurde 2003 Vorsitzender der Bundesheer-Reformkommission. Warum haben Historiker damals nicht mit Verweis auf seine Vergangenheit Zweifel angemeldet?

Beer: Soll das ein Vorwurf sein? Aber Sie haben recht. Auch bei Waldheim hat man ja etwas gefunden. Aber das historische Gedächtnis reicht in Österreich eben nicht so lange zurück. Wir Österreicher sind Schlawiner und Betrüger. Das ist eine Schwäche, die uns aber zum Teil auch als sympathisch ausgelegt wird.

Das Image des österreichischen Staatsarchivs wurde in Zusammenhang mit den Akten Zilks angekratzt: Akten werden entnommen, verschwinden, tauchen „als Zufallstreffer“ eines ehrgeizigen Beamten doch wieder auf. Ist das symptomatisch für den Umgang Österreichs mit seiner Vergangenheit?

Beer: In der Tat ist das Österreichische Staatsarchiv ein schwieriges Archiv. Wenn man sich dort nur immer so bemühen würde. Viel öfter erfährt man: „Wir haben nichts. Da gibt es keine Akten.“ Es herrscht die Gewohnheit und auch das Recht vor, Dokumente nach Einhaltung gewisser Fristen zu vernichten. Und genau das ist das Problem. Erst im Jahr 2000 wurden durch die Installierung der Historikerkommission Rahmenbedingungen für ein Archivgesetz festgesetzt. Die entsprechen aber nicht internationalen Standards. Es ist nicht gut bestellt um die heimischen Staatsarchive.

Ist Österreich diesbezüglich ein Entwicklungsland?

Beer: Ja. Und es besteht die Gefahr, dass man – typisch österreichisch – zufrieden ist, wenn es nur ein bisschen besser wird. Tatsächlich schäme ich mich als Historiker aber für unser Archivwesen.

ZUR PERSON

Geheimdienstexperte. Der Historiker Siegfried Beer lehrt am Zeitgeschichte-Institut der Grazer Karl-Franzens-Universität und gilt als Geheimdienst-Spezialist.

■Der gebürtige Niederösterreicher (60) leitet die von ihm 1984 gegründete Österreichische Gesellschaft für Geheimdienst, Propaganda und Sicherheitsstudien (ACIPSS, Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies). „Weil es im Gegensatz zu den USA, wo die Archive offen sind, in Österreich bezüglich der Arbeit der Geheim- und Nachrichtendienste eine Lücke gibt“, sagt Beer.

■Er hat in einem 2008 publizierten Interview den tschechoslowakischen Exspion Jaroslav Bittmann bereits auf die Rolle Helmut Zilks in den 1960er-Jahren angesprochen. Bittmann sagte damals, Zilk sei kein Agent gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2009)

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