Demo gegen G20-Gipfel: Die Schönwetter-Revolte

LONDON PROTESTS G20
LONDON PROTESTS G20 (c) EPA (Ian Langsdon)
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Von London über Berlin bis Wien gingen am Samstag zehntausende Menschen im Vorfeld des G20-Gipfels friedlich auf die Straße. Die Polizei warnt: Es könnte „blutige Proteste“ in den kommenden Tagen geben.

Ich wollte immer schon reich sein“, erklärt der 25-jährige Sascha. Zwei Jahre lang versuchte sich der bärtige Karlsruher als Investmentbanker. „Davon bin ich geheilt“. Am Samstag ging er in Wien gegen seine früheren Kollegen auf die Straße. Mit ihm setzten sich Tausende am ersten Frühlingstag unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ gegen die vermeintlichen Verursacher der Finanzkrise in Bewegung.

Ähnliche Proteste formierten sich am Samstag quer durch Europa. Während die geschätzten 6500 bis 20.000 Teilnehmer in Wien über die Sonne jubeln konnten, hatte die Polizei in London, wo sich kommende Woche die 20 wichtigsten Industrienationen (G20) zum Krisengipfel treffen, wie selten zuvor auf Schlechtwetter gehofft. Angesichts von Gewaltaufrufen wie „Hängt die Banker auf“ blickten die britischen Sicherheitsbehörden dem Protestmarsch durch London mit einiger Sorge entgegen. Die Hoffnung ging nur teilweise in Erfüllung: Heftiges Aprilwetter, bei dem sich Regen und Sonne im Minutentakt abwechselte, hinderte geschätzte 35.000 Menschen nicht daran, auf die Straße zu gehen.

Punks und Pensionisten

Der befürchtete Pflasterregen blieb aber aus. Im Gegenteil: Der Protest fand überwiegend in Faschingsstimmung teil. An der Spitze des Zugs von der Themse zum Hyde Park marschierte die Blaskapelle der Heilsarmee, unter den Teilnehmern waren Familien mit Kleinkindern ebenso zu sehen wie Veteranen, die wohl schon 1968 und davor auf der Straße waren.

Auch in Wien erinnerte der Aufmarsch an Kostümen – etwa schillernder Finanzhaie und schweinsköpfiger Anzugträger – eher an einen bunten Umzug denn an eine Revolte. Pensionisten und Punker marschierten ebenso mit wie Gewerkschaftsfunktionäre, Frauenrechtlerinnen und Umweltaktivisten. Jede der 260 teilnehmenden Vereine hatte seine eigene Botschaft mit im Gepäck. Was sie verband war weniger die die Kritik an der Politik der G20, sondern vielmehr ein „unangenehmes Bauchgefühl“. „Das System ist krank, eh klar“, sagt ein junger Demonstrant in Wien. Um das aufzuzeigen sei man hier. „Ich habe einfach Angst, meinen Job zu verlieren“, meint hingegen Dominik, ein zwanzigjähriger ÖBB-Lehrling.

„Die Erwartungen an die Politik sind gleich Null“, sagt Altsozialist und Kanzlersohn Peter Kreisky. „Warum soll ich denen vertrauen, die nur versuchen, ein krankes System zu stabilisieren?“, fragt ein Linzer Pensionist mit Blick auf den kommenden G20-Gipfel in London.

Kein Vertrauen. Auch wenn sich einige Ideen der Kritiker auf der Agenda der G20 finden – an einen plötzlichen politischen Wandel in den Sitzungssälen, will hier niemand so recht glauben. Genauso wenig will auch die Londoner Polizei trotz des friedlichen Auftakts der Proteste an eine gewaltfreie Woche glauben. Für Mittwoch, einen Tag vor dem Gipfel, plant die Aktionsgruppe „G20 Meltdown“ vier Pappmache-Pferde, die symbolisch für die vier Reiter der Apokalypse stehen sollen, zur Bank of England zu bringen – gefolgt von Tausenden von Demonstranten.

Vor dem Hauptsitz der Royal Bank of England soll ebenfalls protestiert werden. Sie steht wegen ihrer üppigen Bonuszahlungen an gescheiterte Manager besonders unter Beschuss, mittlerweile im wahrsten Sinn des Wortes: Der Wohnsitz von Ex-Chef Fred Goodwin, wurde diese Woche von Anarchisten angegriffen. Dafür, dass er die Bank in die Pleite geführt hat, bekommt er nun 700.000 Pfund Pension – im Jahr.

Diese Zahlungen sind es, die den Volkszorn zum Kochen bringen. „Das kann nicht sein, dass Leute ihre Arbeit verlieren und die Banker abkassieren“, sagte der 73-jährige Milton McKenzie auf dem Protestmarsch der BBC. Für Unmut in der Szene sorgen aber auch die Polizeiwarnungen vor Gewalt. „Mit dieser Überreaktion kann Aggressivität erst provoziert werden“, meinte der Liberaldemokrat David Howarth.

Bei der Polizei sieht man das freilich anders. Über die Einsatzkräfte wurde Urlaubssperre verhängt, um tausende Polizisten rund um die Uhr im Einsatz zu haben. Mit dem G20-Gipfel und den Protesten steht eine der größten Herausforderungen seit vielen Jahren bevor. Mehr als sieben der 19 Mio. Pfund (20,34 Mio. Euro) Kosten des Gipfels gehen auf Konto der Sicherheitsmaßnahmen.

Anarchisten suchen den Kampf. Ihnen zum Opfer gefallen ist auch ein geplanter „Alternativgipfel“ parallel zum G20-Treffen. Einer der vorgesehenen Redner war der Anthropologe Chris Knight von der University of East London. In einem Radiointerview kündigte er an: „Wir werden viele Puppen von Bankern an Laternenpfählen aufknüpfen. Wenn Leute wie Goodwin nicht bald zur Besinnung kommen, werden am Ende echte Banker hängen.“

Die meisten Londoner sind seither nicht mehr der Ansicht, dass die Polizei mit ihren Warnungen „überreagiert“, wie Protestgruppen meinen. Der Anarchist Dave Tucker, nach eigenen Angaben ein Veteran der legendären „Poll tax-Unruhen“ gegen Margaret Thatcher in den frühen 1990er-Jahren, sagt: „Eine Menge Leute wollten damals einfach einen Kampf. Ich spüre jetzt dieselbe Atmosphäre wieder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2009)

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