Tsipras wirbt für sein unerfüllbares Programm

150209 VIENNA Feb 09 2015 Austrian Chancellor Werner Faymann R meets with Greek Prime
150209 VIENNA Feb 09 2015 Austrian Chancellor Werner Faymann R meets with Greek Prime(c) imago/Xinhua (imago stock&people)
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Griechenlands Regierungschef holte sich zwar die verbale Unterstützung von Bundeskanzler Faymann. In den wichtigsten Konfliktpunkten gibt es für die Europartner aber kaum Spielraum.

Wien. Die neue Woche begann für Alexis Tsipras mit einer Planänderung, wenn auch nur zeitlicher Natur. Wegen eines Schneesturms konnte der griechische Regierungschef erst mit einiger Verspätung in Wien landen; das für elf Uhr geplante Gespräch mit Bundeskanzler Werner Faymann verzögerte sich dann um eine knappe Stunde. Die mühsame Anreise zahlte sich für den 40-Jährigen dennoch aus – durfte er sich doch am Ende seines Besuchs über einen „guten Freund“ freuen, den er nach eigener Aussage im österreichischen Kanzler gefunden hat.

In vielen Punkten einig zeigten sich beide Regierungschefs auch bei einem Pressefoyer im Anschluss an das fast eineinhalbstündige Vieraugengespräch. Die Eurozone müsse gemeinsam nach einer Lösung für das marode Land suchen, betonte Faymann. Es sei „eine Frage des Respekts“, die Vorstellungen der neuen Regierung ernst zu nehmen – freilich auf Basis der eingegangenen Verpflichtungen und der Rahmenbedingungen. Bisher, erklärte der Kanzler besorgt, gebe es noch keine Lösung für die Diskrepanz zwischen dem mit Griechenland vereinbarten Sparprogramm und den Vorstellungen der neuen Regierung. Allerdings hielte er es für „kalten Zynismus“, wenn Europa bei der Rettung des Finanzsystems großen Einsatz zeige, nicht aber bei der Rettung der Menschen. Dem konnte Tsipras nur lächelnd beipflichten. Der Chef der radikallinken Syriza zeigte sich seinerseits optimistisch, alsbald eine Einigkeit mit den Europartnern zu finden. Bisher habe es in Griechenland schlicht an politischem Willen gefehlt, die Ungerechtigkeit des korrupten Systems zu bekämpfen, zürnte er. Im Kampf gegen Steuerbetrug wollen Tsipras und Faymann auch auf europäischer Ebene gemeinsame Initiativen ergreifen.

Was aber das griechische Schuldendilemma betrifft, läuft der neuen Regierung die Zeit davon. Am Mittwoch sollen bei einem Euro-Sondertreffen konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt werden. Es gebe keinen Grund dafür, dass man nicht zu einer Lösung findet, sagte Tsipras. Eine genaue Analyse der „roten Linien“ zeigt aber, dass es derzeit fast unüberwindbare Differenzen gibt.

Gewünschter Programmausstieg

Tsipras will das laufende Hilfsprogramm nicht verlängern. Es läuft sowieso bereits am 28.Februar ab. Stattdessen fordert er eine Übergangsfinanzierung bis zum Sommer, um bis dahin mit den Geldgebern und der Europäischen Zentralbank (EZB) ein nachhaltiges Modell auszuhandeln. Die Europartner fordern hingegen eine sofortige Verlängerung des Programms, das weiterhin an Reformen und eine konsequente Sanierung des Staatshaushalts geknüpft sein müsse. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem hat Athen bis zum 16. Februar Zeit gegeben, die Verlängerung des Programms zu beantragen. Der Spielraum für den griechischen Regierungschef ist klein, denn sein Land steht finanziell bereits jetzt mit dem Rücken zur Wand. Finanzminister Yanis Varoufakis dürfte noch Geld für wenige Wochen haben. Danach ist er entweder auf weitere Kredite der internationalen Partner angewiesen, oder er müsste kurz laufende Staatsanleihen auflegen. Diese Schuldentitel wären derzeit nur mit hohen Zinsen auf den Finanzmärkten zu verkaufen. Für dreijährige Anleihen muss Athen momentan 19 Prozent Zinsen bezahlen. Das ist für größere Beträge fast unfinanzierbar. Die EZB hat bereits angekündigt, dass sie keine griechischen Staatsanleihen mehr ankaufen werde und dass sie nicht bei einer Überbrückungsfinanzierung helfen werde. Auch hier ist der Schranken zu.

Abschwächung von Reformen

Tsipras will die von der Troika auferlegten Reformen teilweise außer Kraft setzen. Als ersten Schritt will er den gesenkten Mindestlohn wieder anheben, das Weihnachtsgeld für Pensionisten wieder einführen und Steuern für Kleinunternehmen wieder reduzieren. Diese Maßnahmen will sein Finanzminister Varoufakis über eine effizientere Steuereintreibung gegenfinanzieren. Vorerst bräuchte die griechische Regierung aber auch dafür Geld. Weicht sie wie angekündigt das vereinbarte Budgetziel auf, würde sie in einem weiteren Punkt gegen die mit den Geldgebern vereinbarten Ziele verstoßen. Eigentlich sollte Griechenland dieses Jahr laut Vereinbarung einen Primärüberschuss von drei Prozent erwirtschaften. Tsipras und seine Regierung wollen aber nur noch 1,5 Prozent anpeilen.

Abschied von der Troika

Tsipras hat die Zusammenarbeit mit der Troika aus Vertretern der EU-Kommission, der EZB und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgekündigt. Doch so einfach wird sich der Abschied von den Kontrolloren nicht bewerkstelligen lassen. Die Geldgeber wollen in jedem Fall eine weitere Aufsicht. Der IWF, der rund zehn Prozent des Hilfsprogramms finanziert, könnte aufgrund seiner Statuten das Land nicht länger finanzieren, sollte ihm ein direkter Einfluss auf die Reformen verweigert werden. Steigt er – wie bereits angedroht – aus, blieben nur noch die Europartner übrig. Zwar hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Änderung der Troika-Kontrolle in Aussicht gestellt, wie das aber funktionieren soll, ist offen.

Erhoffter Schuldenschnitt

Der griechische Ministerpräsident nimmt das Wort Schuldenschnitt zwar derzeit nicht mehr in den Mund. Aber die von Athen angestrebte nachhaltige Lösung, die nach ihren Vorstellungen ab dem 1. September greifen soll, läuft weiterhin auf einen Verzicht der Geldgeber hinaus. Die griechischen Staatsanleihen werden mittlerweile zu einem überwiegenden Teil von öffentlichen Institutionen gehalten. Größter Gläubiger sind der Euro-Rettungsschirm EFSF, die Euro-Regierungen und die EZB. Die Zentralbank hat bereits angekündigt, dass für sie ein Schuldenschnitt nicht infrage kommt. Er wäre mit den EZB-Satzungen nicht vereinbar. Der griechische Staat ist derzeit mit etwa 322 Milliarden Euro verschuldet. Das entspricht 175 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung – mehr als in absehbarer Zeit zurückgezahlt werden kann. Die Regierung in Athen will etwa die Hälfte der Schulden in sogenannte „Ewigkeitsbonds“ umwandeln. Diese sollen eine unbegrenzte Laufzeit haben, müssten also nicht wirklich zurückgezahlt werden. Von den Europartnern, allen voran Deutschland, wird das aber klar abgelehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2015)

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