Zuletzt häufte sich die Kritik an missglückten Einsätzen der Exekutive. Manchmal, sagen Trainer der Polizei, sehe das allerdings schlimmer aus, als es tatsächlich sei.
Wien. „Ja“, sagt der Polizist mit dem Schild „Einsatztrainer“ auf der Brust. Man dürfe sich ruhig mit aller Kraft gegen die Fixierung am Boden wehren (siehe Foto). „Wenn Sie morgen dann mit Muskelkater aufwachen, wissen Sie wenigstens, warum.“ Tatsächlich dauerte es gerade einmal zwei Stunden, bis sich die Folgen der Auseinandersetzung schmerzhaft im Rücken bemerkbar machten.
Nachdem im Lauf der vergangenen Wochen immer wieder öffentlich Kritik an offensichtlich missglückten Einsätzen der Exekutive geäußert wurde, zeigte die Polizei am Donnerstag eine andere Seite. Journalisten, die wollten, konnten sich im geordneten Rahmen mit Einsatztrainern der Polizei anlegen, die zudem gestellte, aber mit Körperkraft und Waffen bestückte Szenarien aus dem Alltag durchspielten. Nicht zum Zweck der Darbietung eines spektakulären Showprogramms, sondern um zu veranschaulichen, dass Straftäter auf der Flucht, Tobende, psychisch Kranke und vor allem unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehende Personen häufig nur mit massiver Körperkraft zu bändigen sind. Bis hin zum Waffengebrauch.
„Solche Einsätze sehen oft nicht schön aus“, sagt Ernst Albrecht, Kommandant der Wiener Wega und damit einer Einheit, die wegen ihres Auftrags besonders häufig mit brenzligen Situationen konfrontiert ist. Hinter Medienberichten oder im Internet veröffentlichten Videos stünden jedoch häufig auch Vorgeschichten, die die Kritiker fast nie kennen.
20 Stunden üben jährlich
Exemplarisch dafür nannte Albrecht einen Einsatz, zu dem die Polizei von einer Mutter mit Kleinkind gerufen wurde. Auf einer Parkbank befriedige sich ein Mann selbst, man möge doch einschreiten, um eine Traumatisierung der Tochter zu vermeiden. Die Polizei kam, forderte den Mann auf, die sexuellen Handlungen zu beenden, doch der weigerte sich. Schließlich wurde er von den Beamten zu Boden geworfen und abgeführt. Anschließend beschwerte sich die Frau, die angerufen hatte, darüber, dass ihre Tochter ob der polizeilichen Gewaltanwendung nun erst recht traumatisiert sei.
Wie Polizisten Gewalt richtig dosieren, lernen sie in der Grundausbildung und üben das Erlernte, verpflichtend für alle Waffenträger, 20 Stunden im Jahr – vom Anfänger bis hinauf zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. Das Training beginnt bei verbalen Deeskalationstechniken, geht über die rechtlichen Rahmenbedingungen und den richtigen Eigenschutz bis hin zur situationsabhängig zu wählenden Gewaltintensität. Ob Körperkraft, Pfefferspray, Schlagstock oder Pistole: Die Zahl der Entscheidungen, die binnen kürzester Zeit getroffen werden müssen, ist groß. Der oberste Grundsatz in der Theorie lautet, dass der Gewalteinsatz der Gegenwehr angemessen sein muss. Wer sich bei der Fixierung am Boden liegend heftig wehrt – siehe oben –, wird auch härter angepackt. Das kann schmerzhaft sein und übertrieben aussehen, ist laut Polizei in einer solchen Situation jedoch angemessen.
Genauso vielfältig wie die Situationen, in die Polizisten tagtäglich im Dienst geraten, ist die Zahl der möglichen Fehler. Bundeseinsatztrainer Martin Hollunder-Hollunder sagt, dass das beste Training auch nur die Wahrscheinlichkeit für Fehler im Einsatz senken könne. Und oft genug passiert es dann trotzdem.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2015)