60 Jahre Staatsvertrag. Es war der letzte im Reigen der Gedenkveranstaltungen: der Festakt im Belvedere. Es war viel vom Glück des 15. 5. 1955 die Rede, aber auch von Opfermythos und Schuld.
Wien. Es war Kanzleramtsminister Josef Ostermayer, der daran erinnerte, dass vor fünf Jahren, beim 55-Jahr-Jubiläum, der Artikel 7 des Staatsvertrages noch gar nicht umgesetzt war. Im 56. Jahr war es dann aber so weit: Die Kärntner Ortstafel-Frage war gelöst. Ostermayer dankte Kanzler Faymann, dass er ihm diese Aufgabe zugetraut und übertragen habe. Er dankte aber auch allen damaligen Verhandlern.
Einer davon, Valentin Inzko, Slowenen-Vertreter und Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina, saß unter den Gästen. Wie auch Erich Lessing, jener Fotograf, der das legendäre Foto geschossen hatte, das Leopold Figl am 15. Mai 1955 mit dem Staatsvertrag am Balkon des Belvedere zeigte.
Im Marmorsaal des Schlosses, dort, wo vor 60 Jahren der Staatsvertrag unterzeichnet wurde, traf sich das offizielle Österreich am Freitag zum Festakt. Musikalisch umrahmt vom Chor der Wiener Staatsoper. Der Staatsvertrag war ausgestellt. Die Fahnen der Alliierten aufgestellt, das sowjetische Hammer-und-Sichel-Banner durch die russische Trikolore ersetzt. Die Botschafter der USA, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs saßen in Reihe eins.
Es war dies der vorerst letzte Akt im Reigen der Gedenkveranstaltungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs und dessen Folgen. Es war viel von der Freude an jenem 15. Mai 1955 die Rede, aber auch von der Opferrolle Österreichs und der Schuld an den Verbrechen der Nazis. „Zahlreiche Österreicher waren Teil der NS-Massenmord-Maschinerie“, meinte Ostermayer.
Der Opfermythos sei viel zu lang aufrechterhalten worden, sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Es habe individuelle Schuld gegeben, Österreich sei auch mitverantwortlich für den Zweiten Weltkrieg. Diese Passage hatte Leopold Figl seinerzeit aus der Präambel zum Staatsvertrag – diese trugen dann die Burgtheater-Schauspieler Elisabeth Orth und Michael Heltau vor – herausreklamiert. Figl könne man dies nicht vorwerfen, er als NS-Opfer sei „mit sich selbst im Reinen“ gewesen, so Mitterlehner.
„Glaubt an dieses Europa!“
Aus Figls „Glaubt an dieses Österreich!“ sollte man heute „Glaubt an dieses Europa!“ ableiten. Mitterlehner wünschte sich zudem mehr von jenem „Spirit“, den die Österreicher 1956 angesichts Ungarnkrise gehabt hätten, auch für die aktuelle Flüchtlingsproblematik.
Kanzler Werner Faymann befand, dass der 15. Mai 1955 für Österreich das gewesen sei, was der Mauerfall für die Deutschen war. Man müsse dankbar sein, dass es uns ermöglicht wurde, ein freier und ungeteilter Staat zu werden. Die Lehre aus der Zeit davor sei: „Mit Unrecht, Hass und Verfolgung ist kein Staat zu machen.“ Faymann hielt auch ein Plädoyer für die Sozialpartnerschaft. Es sei Österreichs Erfolgsrezept, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. Österreich sei ein Neuanfang in Respekt und Toleranz gelungen. „Und Österreich hatte das Glück, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht alleingelassen wurde. Die Siegermächte waren bereit, am Wiederaufbau des zerstörten Europas mitzuhelfen.“ Auch heute sollte man in der EU zusammenstehen.
Es sei ein Geschenk, in Freiheit aufwachsen und leben zu dürfen, sagte Außenminister Sebastian Kurz. Zur neuen Vielfalt im Land hätten auch die 1,5 Millionen Zuwanderer beigetragen. „Das friedliche Zusammenleben der Religionen funktioniert hier so gut wie sonst kaum wo in der Welt.“ Österreich sei heute gut in die internationalen Strukturen eingebettet. Die Neutralität sollte nicht als Auftrag zur Teilnahmslosigkeit umgedeutet werden. Diesen Ball nahm Werner Faymann auf: Neutralität sei nicht Teilnahmslosigkeit, sondern aktives Mitgestalten.
Am Ende ließ dann Belvedere-Hausherrin Agnes Husslein die Tür vom Marmorsaal hinaus auf den Balkon öffnen. Jeder Gast konnte hinaustreten, sich wie ein nachgeborener Leopold Figl fühlen – und Selfies machen.
Auch Leopold Figls Tochter Anneliese stand am Balkon und blickte hinab in den Schlossgarten, wo am 15. Mai 1955 die Menge ihrem Vater zugejubelt hatte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)