Der ESC fördert das Einlassen mit dem Fremden.
„Wir haben diesmal keinen Fisch gefangen“, kommentierte Sänger Kari Aalto tapfer das überraschend frühe Ausscheiden der finnischen Punk-Kombo Pertti Kurikan Nimipäivät. „Kein Grund zu weinen“, meinte Namensgeber Pertti Kurikan ergänzend. Das war lieb, aber vergeblich. Jeder finnisch Gesinnte sah die weiteren Geschehnisse der ESC-Woche nur noch durch einen Tränenschleier. Wie konnte es angehen, dass eine Band, die Rücksicht auf die limitierte Lebenszeit ihrer Hörer nahm, indem sie das p.t. Publikum nur mit einem eineinhalbminütigen Lied beschäftigte, derart abgestraft wurde?
Auf einen etwaigen „Mitleidseffekt“ setzte die Band erst gar nicht. Tapfer präsentierte sie sich im Modus des Zorns, eines Affekts, der auch außerhalb der Heile-Welt-Inszenierung des ESC zu wenig Würdigung findet. Dabei führt er doch im Idealfall zu innerer Reinigung. Wahrscheinlich hatte die Majorität der Votenden einfach nur Sehnsucht nach einem Glück, das keine Angst macht. Hätten die Finnen auf die Melancholie, ihr weit wirksameres Talent gesetzt, hätte sich vielleicht größerer Erfolg eingestellt. Aber so war man gezwungen, in Erinnerungen an die unvergessliche Laila Kinnunen zu schwelgen, die 1961 mit „Valoa Ikkunassa“ immerhin auf Platz zehn des europäischen Wettsingens kam. Das heilte sie nicht von ihrer tief sitzenden Traurigkeit. Die sanfte Brünette sang sich in der Folge jahrelang durch Bossa Nova und Schlager, Jazz und Folklore. Ihre Dämonen waren aber nicht abzuschütteln. Viele Wahlfinnen beamten sich nach der Niederlage gedanklich in Helsinkis liebenswerte Bar U. Kahleva. Was für ein Ächzen wird wohl im Moment des Verglühens von Pertti Kurikan Nimipäivät an diesem heiligen Ort zu vernehmen gewesen sein, wo allnächtlich Völkerverständigung praktiziert wird.
Das ist nämlich auch so ein Phänomen des ESC, dass er nicht nur zu nationalistischen Albernheiten provoziert, sondern zuweilen die Identifikation mit fremden Ländern und deren Sitten fördert. An der Wand des U. Kahleva hängt irgendwo ein Bildnis der jungen, mittlerweile verstorbenen Laila Kinnunen. Auch ihre Lieder ertönen von Zeit zu Zeit. Das kokette „Lazzarella“, das groovige „Kuume“ oder ihre herzerwärmende Version von Udo Jürgens „Merci Chérie“. Dass die Zeit am Ende nur in der Kunst stillsteht, ist so tröstlich wie erschreckend.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)