Die Zuversicht des FC Barcelona vor dem heutigen Finale gegen Juventus Turin ruht vor allem auf den Qualitäten von Messi, Suárez und Neymar.
Es ist verhältnismäßig ruhig auf den Straßen Berlins, in dieser Stadt, die meist so quirlig und etwas durcheinander erscheint. Ein paar Touristen sonnen sich in den Cafés, sie genießen die Stille. Heute, das ist gewiss, wird sich die Metropole an der Spree von einer anderen, ihrer lauten Seite präsentieren.
Das Olympiastadion Berlin ist erstmals Ausrichter des Champions-League-Finales, nur eine Woche nach dem DFP-Pokal-Endspiel erwartet die Hauptstadt ein nächster fußballerischer Höhepunkt. Vielleicht ist Berlin etwas übersättigt, vielleicht ist das ein Grund, warum 36 Stunden vor dem Showdown zwischen Barcelona und Juventus (20.45 Uhr, live Puls 4, ZDF, Sky) noch keine spürbare Finalstimmung flächendeckend auszumachen war.
Messi ohne Public Viewing
Ein offizielles, groß angelegtes Public Viewing wird es – anders als bei EM oder WM, bei der hier bis zu eine Million Menschen auf den Straßen feierten –, nicht geben. Es ist eine Entscheidung der Uefa, die bei dem Champions Festival, einer Fanzone beim Brandenburger Tor, ihre zahlungskräftigsten Sponsoren wie Gazprom oder Mastercard präsentiert –, es wirkt nicht sonderlich kreativ. Den je 25.000 Fans beider Mannschaften, die heute in der Stadt erwartet werden, wird all das herzlich egal sein. Sie werden ihr eigenes Fest feiern, auf dem Alexanderplatz oder in irgendeinem Pub in Kreuzberg.
Der Anhang des FC Barcelona baut seine Hoffnungen auf eine rauschende Nacht vor allem auf die Treffsicherheit eines Trios: Lionel Messi, Neymar und Luis Suárez haben das Spiel der Katalanen unwiderstehlich erfolgreich gemacht. Das Offensiv-Gespann trägt die Verantwortung für 120 Tore in der laufenden Saison. Ein Rekord, der gegnerische Abwehrreihen in Ehrfurcht erstarren lässt.
Messi, Suárez, Neymar – also „MSN“ – praktizieren den perfekten Fußball, die alte Bestmarke des Real-Trios Ronaldo, Benzema und Higuaín aus der Saison 2011/2012 (118 Tore) wurde längst übertroffen. Im Halbfinale der Königsklasse hatte Bayern München die Durchschlagskraft der „Maschinen“ („El Mundo Deportivo“) zu spüren bekommen. Für alle fünf Tore zeichneten die Südamerikaner verantwortlich.
Alle stehen in Messis Schatten
Lionel Messi, 27, ist für nicht wenige Beobachter des Spiels der beste Fußballer aller Zeiten. Er ist seit gut einem Jahrzehnt das prägende Gesicht des FC Barcelona, einer Mannschaft von Weltruhm. Messi, eine Konstante, hat viele Mitspieler kommen und gehen gesehen. Er hat mit klingenden Namen Doppelpässe gespielt, mit Samuel Eto'o, Zlatan Ibrahimović oder Thierry Henry. Viele sind an der Seite des kleinen Magiers jedoch verblasst. Sie konnten nie ihr ganzes Potenzial abrufen, weil immer ausnahmslos er im Mittelpunkt stand. Auch sollen die Verhältnisse der Stars untereinander beileibe nicht immer die besten gewesen sein. Wenn große Egos aufeinandertreffen, sind Differenzen immer vorprogrammiert.
Doch „MSN“ funktioniert, Messi sagt: „Ich habe mit großartigen Stürmern gespielt. Ich konnte eine tolle Partnerschaft mit Ronaldinho genießen. Da waren auch noch Eto'o, Henry, Pedro, Villa oder Alexis. Es ist aber schwer, eine Aufstellung zusammen mit Neymar und Suárez zu übertreffen.“ Juventus-Verteidiger Giorgio Chiellini, der für das Spiel des Jahres und das Wiedersehen mit Beißer Suárez wegen einer Wadenverletzung kurzfristig ausfällt, sagt: „Mann gegen Mann sind sie nicht zu stoppen.“
Superstars und Diven
Diese Sturmlinie hat ihren Preis. 150 Millionen Euro ließ sich Barcelona die Dienste von Neymar und Suárez 2013 und 2014 kosten. Mit der Verpflichtung des Duos hat sich der Spielstil der Katalanen schlagartig verändert. Barca steht jetzt für geradlinigeren Fußball, nicht enden wollende Ballstafetten gehören der Vergangenheit an. Trainer Luis Enrique hat die Mannschaft vom einst unter Pep Guardiuola perfektionierten Tiki-Taka befreit, sie damit unberechenbarer gemacht; was natürlich im direkten Zusammenhang mit den individuellen Qualitäten von Messi, Neymar und Suárez steht. „Es ist ein Segen, hinter diesen drei Stürmern zu spielen. Sie sind die besten der Welt“, bekräftigt Andrés Iniesta.
Man braucht kein Prophet zu sein, um die These aufzustellen, dass die Tagesverfassung von Barças genialem Trio über den Ausgang des Endspiels entscheidet. Alle Augen werden auf „MSN“ gerichtet sein, aber genau darin könnte Juventus' große Chance liegen. Michael Ballack, langjähriger Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, sagt: „Barcelonas größte Stärke ist auch eine Schwäche. Die drei Stürmer sind alle Superstars und manchmal auch ein wenig Diven. Sie mögen es alle nicht zu verteidigen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)