Lewis Hamilton: "Für mich gibt es keine Limits"

FORMULA 1 - GP of Austria 2015
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In Spielberg sprach Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton entspannt über seine Liebe zur Musik, Natur, das Skifahren in Österreich und seine Sehnsucht nach Colorado. Er verurteilt Rassismus und lehnt Rekorde ab.

In der Formel 1 gilt Spielberg als etwas Besonderes. Weil es keine Metropole ist wie Singapur, oder weil rund um den Ring Kühe grasen und deren Glocken läuten?

Lewis Hamilton: Wie bitte, hier gibt es tatsächlich Kühe neben der Strecke? Ich habe noch nie welche gehört oder gesehen. Wo sind sie?

Die gibt es, gleich dort hinter dem Hügel zum Beispiel. Haben Sie nie die Geschichte von Bernie Ecclestone gehört? Er hasste den Österreich-GP, weil er einst von Kuhglocken geweckt worden sein soll...

Wirklich? Eine tolle Geschichte, ich muss ihn gleich fragen. Aber Spaß beiseite, ihr habt hier eine tolle Landschaft, rundherum die Berge, die grüne Natur. Ich liebe das. Die Strecke mit ihren Auf- und Ab-Passagen, sie hat einen guten Charakter, ich habe sie übrigens als Kind beim Computerspielen schon gut kennengelernt. Nur das Wetter hier ist sehr wechselhaft, es regnet schneller als anderswo. Es sind für mich spannende Rennen hier. Na ja, aber das ist klar, es muss doch gut sein hier. Es ist schließlich Nikis Heimat.

Wie verstehen Sie sich mit Niki Lauda oder Toto Wolff, beide sind ja Ihre Chefs. Geben sie einem Weltmeister noch Anweisungen?

Beide geben mir keine Anweisungen, manchmal sind sie mit Tipps zur Stelle. Niki ist immer für mich da. Ein respektvoller Mensch, dreimaliger Champion, er kennt sich in der Formel 1 aus. Er lässt mich arbeiten, darum hat er mich ja engagiert. Müsste er mir dann noch Anweisungen geben, könnte er mir ja weniger Geld bezahlen... Er hört mir zu und ich genieße seine Geschichten und Erzählungen von früher. Ich lerne sehr viel von ihm.

Wie sehr unterscheidet sich Ihrer Meinung nach die Formel 1 von damals und heute?

So viel hat sich am Kern der Sache, seiner Natur, nicht verändert. Die Technologie ist vorangeschritten, die Autos sind sicherer geworden. Es ist eine natürliche Entwicklung, eines aber ist absolut unverändert geblieben: Es ist immer noch Rennfahren.

Sie loben oft die Energie der Großstädte aus, aber es gefällt Ihnen auch hier in der Steiermark. Sind Sie ein Naturliebhaber?

Ich liebe es, wirklich! Ich bin als Kind auf grauen Straßen aufgewachsen, ehe meine Eltern aufs Land gezogen sind, weg von der Stadt. Ich hatte also den Mix, ich kenne beide Welten. Aber wenn du aus einer verrückten Stadt wie Montreal kommst, in der du wegen des dichten Verkehrs für 200 Meter fünf Minuten brauchst, bist du hier doch im Paradies. Im Winter bin ich immer in den Bergen, ich mag Schnee. Aber ich fliege auch sehr gern nach Hawaii – ich gehe surfen. Aber Berge, die sind super-special für mich! Keine Häuser, keine Autos, niemand ist um dich herum. Österreich ist ein tolles Land.

Stimmt es, dass Sie in Österreich das Skifahren gelernt haben, in Zell am See?

Ja, hier in Österreich. Ich besuchte Nico (Rosberg, Anm.), sein Vater hat in Zell am See ein Haus. Ich glaube, ich war damals 17 Jahre alt. Er gab mir Skier, neben seinem Haus im Hinterhof, da war ein kleiner Hügel. Wenig später waren wir schon auf dem echten Berg und so ging es dann immer weiter. Aber seitdem ich ein Snowboard habe, bin ich von dem Brett begeistert.

Schauen Sie auch Skirennen, kennen Sie einen Fahrer?

Ich liebe Abfahrten, die sind spannend. Die schaue ich mir immer im Fernsehen an, wenn ich Zeit habe. Ich kenne Lindsey Vonn, sie ist eine fantastische Sportlerin. Was sie geschafft hat, ringt mir großen Respekt ab.

Im Winter ziehen Sie sich oft allein zurück in die Berge. Gewinnen Sie dort die Kraft für eine lange, anstrengende Saison?

Ja, die Berge sind Teil meiner Trainingsplanung. Dort kann ich abschalten. Ein, vielleicht zwei Wochen im Dezember bin ich immer weg.

Sie wirken in dieser Saison weitaus entspannter als noch im Vorjahr. Wie, womit haben Sie sich so verändert? Die Berge haben ihre Wirkung offenbar nicht verfehlt.

Davon bin ich überzeugt! Würde ich es nicht sein, wäre es eine Enttäuschung für mich, weil es immer einen Fortschritt geben muss. Ich bin besser geworden, aber ich lerne immer etwas Neues. Da sind aber auch negative Elemente dabei, mit denen ich lernen muss umzugehen. Etwa den GP von Monaco (falsches Timing beim Reifenwechsel kostete den Sieg,Anm.), das musst du erst einmal verdauen. Aber auch solche Erlebnisse können dich noch stärker, besser machen.

Wie gehen Sie mit Druck um, kennen Sie diesen Begriff denn überhaupt?

Druck? Ich will gewinnen! Ich habe noch lang nicht genug, meine Motivation ist größer denn je. Ich will mehr! Ich will das letzte Rennen gewinnen. Solang ich keine Familie, kein Kind habe, werde ich diesem Druck, meinem Ziel folgen. Den Druck mache ich mir ja selbst, er resultiert aus Ängsten, Wünschen – aber ich habe mich an ihn gewöhnt. Du gewinnst keinen Titel, wenn du relaxed unterwegs bist.

Bauen Sie eine Beziehung zu Ihren Rennautos auf, wie lernt man ein Formel-1-Auto kennen? Mit einem Auto im Straßenverkehr kann man es ja schwer vergleichen.

Ich fühle mich heuer im Auto viel wohler, ich kann mehr erreichen. Da sind Entwicklungen drinnen, die mir mehr passen. Ich genieße es, jedes Jahr erlebe ich dieses Gefühl – es ist ja immer wieder ein neuer Wagen. Es ist zwar nicht so, als gehe man in einen Autosalon und kaufe sich einen Rennwagen, nein. Aber es ist immer wieder etwas Neues. Du suchst Schwächen, Stärken und ja, es ist ein Kennenlernen. Was darf man, was kann man nicht tun?

Kennt man als F1-Weltmeister noch Limits, duldet man Beschränkungen, Zwänge?

Ich fühle mich in meiner Haut sehr wohl und es ist mir wirklich vollkommen egal, was andere über mich denken. Ich bin, wie ich bin, habe vom Team bei meinen Interessen, Autos oder Hobbies auch keinerlei Einschränkungen. Ich kenne keine Limits, die gibt es für mich auch nicht. Mein Vater sagt zwar immer: ,Fahre erst nach dem Karriereende Ski oder Snowboard‘, aber nur ich entscheide, niemand sonst. Und im Rennen will ich nichts in meinem Weg sehen, was mich daran hindert zu gewinnen. Nichts, niemanden!

Als Formel-1-Fahrer lebt man in einer eigener Welt, die vielen Reisen, Rennen – Sie sind immer in Bewegung, stets unterwegs.

Als Job ist dieses Leben wirklich hart, du fährst ja nicht auf Urlaub. Aber du musst deinen Weg finden, damit umzugehen. Das ist mit vielen persönlichen Opfern verbunden. Es gibt Partys, die ich nach kurzer Zeit verlasse, obwohl die Stimmung super ist, weil ich am nächsten Tag trainieren will, nein muss. Das geht nicht mit Kopfweh oder unausgeschlafen. Ich genieße es, Stress zu haben, ich bin sehr quirlig. Ich bin immer in Bewegung, ja.

Wie befreiend war es für Sie, im Vorjahr den zweiten WM-Titel gewonnen zu haben? Es hat den Eindruck erweckt, als sei eine Form der Verzweiflung verschwunden.

Letztes Jahr war wirklich hart für mich, fordernd. Ich war so lang nicht Champion (zuletzt 2008, Anm.), ich wollte diesen Titel unbedingt. Stress, Verlangen, Druck und Angst, dass das Auto einen Schaden hat, diese Dinge plagten mich. Es war oft an der Eclipse, letztlich war es vielleicht jedoch der Höhepunkt meiner Karriere und als ich es geschafft habe, fiel sicher viel Druck von mir ab. Seitdem fühle ich mich stark, mental sicher – jetzt kann ich einfach drauflosfahren. Vielleicht ist das der Grund für meine aktuelle Serie.

Kann es nicht auch die Folge der Routine sein, Sie sind seit 2006 in der Formel 1 unterwegs, Sie kennen jede Strecke...

...ich will keine Routine. Ich liebe Spontanität. Ich komme nach Hause, lasse meine Taschen fallen und nach ein par Minuten kann es sein, dass ich wieder weg will, surfen möchte. Warum nicht? Das heißt aber nicht, dass ich nicht gern zu Hause bin, ja? Ich liebe meine Hunde, muss meine Haare nicht richten, laufe in Flipflops herum, wie vielleicht jeder andere auch. Das ist die einzige Routine (lacht).

Bernie Ecclestone sagt, Sie seien der „perfekte Champion“. Leicht zu vermarkten, für Sponsoren zugänglich, schnell, am Job interessiert – sehen Sie das auch so?

Ich denke, dass ist Verdienst meiner Erfolge. Es hängt von all dem ab, was ich gewonnen habe. Und vielleicht auch deshalb, weil ich der einzige Schwarze im Fahrerfeld bin. Es ist ein anderes Leben als bei all den anderen.

Sie wurden von der Formel 1 als erster schwarzer Fahrer, nun als erster schwarzer Champion vermarktet. Rassismus ist aber weiterhin im Sport ein Problem, Sie selbst wurden 2008 in Barcelona von Hooligans angegriffen und beschimpft. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?

In meinen Anfängen, in der Go-Kart-Zeit, da bemerkte ich diese Tatsache öfter. Es nervte mich ungemein. Jetzt weiß ich, dass es dich dein ganzes Leben begleiten wird. In Barcelona wird jetzt der Support auch wieder stärker, ich komme jedes Jahr wieder gern. Rassismus gibt es in vielen Sportarten, etwa im Fußball. Das ist vollkommen verrückt! Aber ich kenne die Gründe dafür nicht. Dieses Problem wird offenbar von Generation zu Generation weitergegeben. Es wird vermutlich von den Eltern an die Kinder vererbt. Und solang diese Kinder dann nicht aus persönlichen Erlebnissen in ihrem Leben mit anderen Menschen lernen können, dass es falsch ist, werden sie ihre Meinung nicht ändern.

Als Formel-1-Star steht man immer in der Öffentlichkeit, wie hoch ist der Preis dieses Ruhmes? Gibt es noch einen Flecken, wo Sie unerkannt durch die Straßen spazieren oder unbedrängt ein Bier trinken können?

Jesus – so berühmt bin ich doch nun auch wieder nicht...! In Colorado, da bin ich sehr oft, da kann ich diese Freiheit genießen. Ich habe dort ein Chalet. Es erkennt mich nicht jeder, ich lerne neue Menschen kennen – solche, die nicht auf Anhieb wissen, wer ich bin. Das ist höchst angenehm. Amerika ist anders, die Menschen sind nett. Ich kann dort offen über meine Ideen, Computer, Hobbys oder Interessen plaudern. Es ist nicht gestellt. Es ist nett, Menschen im Supermarkt zu treffen, die nicht wissen, wer du bist.

Was erzählen Sie dann im Supermarkt soüber sich? Führen Sie zwischen Milch- und Gemüseregalen Smalltalk?

Musik hat große Bedeutung für mich. Vielleicht mache ich Karriere nach der Karriere als Rennfahrer. Ich habe das Ohr für Musik, den Sound, bin auch gern in Studios. Ich liebe Orchester, Pavarotti, U2 – ich war bei Konzerten. Bob Marley, Beatles, JayZ und Michael Jackson, Marvin Gaye, Stevie Wonder, Prince – es gibt so viele. Ich liebe Musik, das erzähle ich gern.

Erzählen Sie von Ihren Rekorden, Siegen oder wo Sie all ihrer Pokale aufbewahren?

Rekorde sind für mich von keinerlei Bedeutung. Was für mich zählt, sind WM-Titel, Siege. Der Rest ist belanglos. Und die Pokale? In meinem Apartment habe ich nur drei stehen.

Welche?

Keine von Rennen. Sportpersönlichkeit des Jahres, eine FIA-Trophäe und noch eine. Der Rest ist bei meinem Vater in Schachteln. Ich habe keinen Platz für all die Pokale.

Rennfahrer kämpfen immer gegen die Zeit und Gegner. Aber welche Bedeutung hat Zeit für Sie, ist sie das höchste Gut?

Zeit ist das wichtigste Element. Wir wollen immer mehr davon haben, können sie aber nicht kaufen. Du kannst sie nicht aufhalten, verändern. Als Rennfahrer liebe ich es, gegen sie zu kämpfen. Im Privatleben genieße ich jede Sekunde mit meiner Familie, meinen Freunden. Ich bin neun Jahre in der Formel 1 und es fühlt sich für mich an, als wäre ich erst gestern eingestiegen. Und bevor ich ich es bemerke, wird meine Zeit in dieser Szene schon wieder vorbei sein, obwohl ich sicher noch sieben, acht Jahre vor mir habe. Also achte ich darauf, dass ich aus wirklich jedem Augenblick das Beste heraushole. Die Zeit läuft!

Steckbrief

1985
Lewis Hamilton wird am 7. Jänner in Stevenage, England, geboren.

1995
wurde Ron Dennis, Eminenz des McLaren-Teams, auf einen jungen Kart-Fahrer aufmerksam. Der Knirps bat um ein Autogramm und sagte: „Eines Tages fahre ich für Sie!“

1998
wird das Versprechen Wirklichkeit, Dennis holt Hamilton in das Entwicklungsprogramm des Teams.

2005
gewinnt der Brite die Formel-3-Euroserie und 2006 die GP2.

2007
sitzt er erstmals im McLaren und fährt in der Formel 1.

2008
steht Hamilton erstmals auf dem Thron. Er ist zu diesem Zeitpunkt der jüngste Weltmeister der F1-Historie.

2013
heuert Hamilton bei Mercedes an und wird 2014 zum zweiten Mal Weltmeister. Sein Vertrag wird bis 2019 verlängert, Jahresgage: kolportierte 37 Millionen Euro.

2015
Hamilton startet als WM-Leader in den GP von Spielberg. Er hat heuer vier von sieben GP gewonnen, 37 GP-Siege hat er insgesamt gefeiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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