Atomstreit: Das Verhandlungsspiel ist eröffnet

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KERRY(c) APA/EPA/MICHAEL REYNOLDS (MICHAEL REYNOLDS)
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Eine US-Expertengruppe setzt mit einem Forderungskatalog die eigenen Verhandler und die Gegenseite unter Druck. Irans Führer Khamenei pocht auf „rote Linien“.

Wien/Washington. Der offene Brief der US-Expertengruppe, adressiert an das Weiße Haus und das Außenministerium, kam für die Regierung in Washington sichtlich ungelegen. Just vor dem Abflug des Außenministers John Kerry nach Wien und dem Auftakt des Showdown in den Atomgesprächen mit dem Iran im Palais Coburg äußerten führende Ex-Mitarbeiter Barack Obamas ihre Skepsis über die Verhandlungsergebnisse, wie sie seit dem vor drei Monaten erzielten Rahmenabkommen in Genf auf dem Tisch liegen.

Sie erhöhen den Druck auf die Verhandler und liefern damit Munition für die innen- wie außenpolitischen Gegner eines Atomdeals, für die Republikaner ebenso wie für Israel oder Saudiarabien, die seit Jahr und Tag mit erheblichem Lobbying gegen eine Einigung mobil machen. Das auch der „New York Times“ öffentlichkeitswirksam zugespielte Schreiben von Kapazundern wie dem Ex-Sonderbotschafter und Iran-Beauftragten Dennis Ross, dem früheren CIA-Chef David Petraeus oder Gary Samore, dem ehemaligen Chefberater des Präsidenten in Sachen Atompolitik, belegt, wie viel für die USA und den Westen in Wien auf dem Spiel steht.

„Die meisten von uns hätten sich einen rigorosen Pakt gewünscht“, heißt es eingangs, um danach die einzelnen Schwachpunkte aufzulisten und zu zerpflücken. „Die Vereinbarung wird den Iran nicht daran hindern, die Kapazität zu erlangen, Atomwaffen zu produzieren“, lautet der grundsätzliche Einwand der prominenten Unterzeichner aus dem Dunstkreis der Washingtoner Denkfabrik Institute for Near East Policy. Sie kritisierten, dass das Abkommen zwar die Urananreicherung für einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren einschränke, nicht jedoch die Infrastruktur beseitige. Die Inspektionen würden immerhin zu einer größeren Transparenz des iranischen Atomprogramms führen.

Die Gruppe aus Diplomaten und Militärs, darunter auch Berater des Ex-Präsidenten George W. Bush, formulierte weitere Punkte, die sie für unerlässlich für einen Verhandlungserfolg hält – etwa die Überprüfung der iranischen Atomforschung, wie dies in der Genfer Übereinkunft festgehalten ist. Erst danach könnten die Sanktionen gegen den Iran aufgehoben werden, fordern die Experten. Selbst nach dem Auslaufen der zehn bis 15-jährigen Frist, so erklären sie, müsse sichergestellt werden, dass Teheran nicht genug Nuklearbrennstoff für den Bau einer Atomwaffe erlange.

Dennis Ross fasste die Position der Expertengruppe zusammen, die lange im Weißen Haus an der Seite des Präsidenten an einem Atomdeal getüftelt hatte, indem er ein Zitat Barack Obamas abwandelte: „Die Iraner müssen verstehen, dass wir sie erwischen, wenn sie betrügen. Und der Preis muss hoch sein, selbst bei kleineren Verfehlungen.“ Die Forderungen markieren die Ausgangsbasis für Außenminister Kerry, der vor wenigen Tagen mit einem Scheitern gedroht hatte, sollte sich der Iran nicht an die Zusagen von Genf halten.

Streitfrage Inspektion

Warnungen, Drohungen, Taktieren, Ausreizen und Überziehen des Ultimatums – all dies gehört zum Ritual des Polit-Pokers bei der Endrunde der Atomverhandlungen. Und auch Ayatollah Ali Khamenei, der oberste Führer des Iran, versteht sich bestens darauf. Kürzlich definierte er in einer Rede erneut jene „rote Linie“, die ein Ende der Gespräche besiegeln würde. Ein Abkommen müsse mit der umgehenden Aufhebung der Sanktionen einhergehen, bekräftigte er. Eine Inspektion der Nuklearanlagen unter Obhut der Atomenergiebehörde (IAEA), die auch die Militäranlagen einschließt, lehnte Khamenei dezidiert ab. Nicht zuletzt bezeichnete er das Einfrieren der atomaren Forschung als inakzeptabel.

Der oberste Führer nahm somit die Maximalforderungen auf, die das Parlament in Teheran jüngst beschlossen hatte. Im Machtkampf zwischen Hardlinern und dem Reformlager um Präsident Hassan Rohani und Außenminister Mohammed Javad Zarif wollte Khamenei womöglich nur die Konservativen kalmieren – und zugleich den Preis für etwaige Konzessionen seitens Teheran in die Höhe treiben.

Der starke Mann des Regimes, der einen Deal letztlich abzusegnen hat, hatte dem Verhandlungsteam um Zarif bereits mehrfach seine Unterstützung signalisiert. Seine Prämisse ist die Aufhebung der Sanktionen, die den Iran ins Mark getroffen haben. Die Verhandlungspartner beharren indes auf einer schrittweisen Lockerung der Strafmaßnahmen – im Gegenzug gegen eine überprüfbare Umsetzung des Abkommens, etwa der Reduktion der Zentrifugen.

Beide Seiten haben ihren Eröffnungszug im Verhandlungsschach gesetzt und den Spielraum für die finale Gesprächsrunde eingeengt, die am Wochenende in Wien beginnen wird – mit inhaltlich und zeitlich offenem Ausgang.

AUF EINEN BLICK

Atomverhandlungen. Am 2.April einigten sich die fünf UN-Vetomächte (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China) plus Deutschland in Genf auf ein Rahmenabkommen mit dem Iran im Atomstreit. Bei der Endrunde im Wiener Palais Coburg geht es am Wochenende um letzte Details. Differenzen gibt es beim Zeitpunkt für die Aufhebung der Sanktionen gegen Teheran. Der Iran fordert eine sofortige Lockerung und wehrt sich zugleich gegen eine Inspektion der Militäranlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2015)

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