Das Grand-Slam-Turnier in London schwört auf Tradition und weiße Kleidung, hält allerdings sehr wenig von großflächig präsentierten Sponsoren und will tunlichst nicht weiter wachsen, wie Geschäftsführer Richard Lewis stolz erklärt.
Wer an Wimbledon denkt, der denkt an Rasen, weiße Kleidung, an Erdbeeren mit Schlagobers oder die legendäre Menschenschlange vor der Anlage, The Queue genannt. Jeder Tennisspieler mit Profiambitionen träumt davon, einmal hier, im Südwesten Londons, aufzuschlagen, die Geschichte dieses Turniers zu atmen. Wimbledon spielt in einer Sportwelt, die sich immer schneller zu drehen beginnt, moderner und bunter wird, auch die Rolle des „Wächters der Tradition“, wie Richard Lewis es formuliert. Der 60-Jährige operiert als Geschäftsführer des All England Lawn Tennis and Croquet Club, Sicherheitsfragen fallen genauso in seinen Aufgabenbereich wie die Abwicklung von Sponsorendeals. Wobei Lewis, einst selbst Profi und immerhin die Nummer 77 der Weltrangliste, die Bezeichnung Sponsoren nicht in den Mund nimmt. Er spricht lieber von „offiziellen Ausrüstern“, Wimbledon pflegt zu diesen eine ganz eigene Beziehung.
Was bei anderen Großveranstaltungen längst undenkbar ist, ist in Wimbledon normal. Die Briten verzichten auf großflächige Werbung, die Planen rund um die Plätze sind in schlichtem Grün gehalten, frei von Firmennamen in aufdringlichen Lettern. Nur in kleinen, kaum wahrnehmbaren Schriftzügen wird auf treue Sponsoren wie Evian, Slazenger oder Jaguar hingewiesen. Die gesamte Anlage ist nach wie vor authentisch, versprüht Flair. Lieber setzt man auf prächtig blühende Blumen als auf das Gesamtbild zerstörende Werbebanden. Man hält es auch nicht für notwendig, irgendetwas zu ändern. „Wimbledon“, sagt Lewis, „funktioniert auch so. Und glauben Sie mir, anders würde es nicht so gut aussehen.“
Firmen, die die Philosophie nicht mittragen, werden mit Wimbledon keine Geschäfte machen. „Die sollen sich etwas anderes suchen.“ Ein einziges Mal, als der Klub vor drei Jahren das olympische Tennisturnier veranstaltete, wurde eine leichte Kurskorrektur vorgenommen. Man musste sich dabei den Vorstellungen des Internationalen Olympischen Komitees beugen, sich zu Sponsoren und etwas mehr Farbe bekennen. „Für ein Mal war es okay“, meint Lewis. Olympia ist letztlich nicht die schlechteste Werbung . . .
Wimbledon ist nicht nur ein Tennisturnier, es ist auch ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Jährlich wirft die Veranstaltung einen Reingewinn von bis zu 50 Millionen Euro ab, der Verkauf der Fernsehrechte und das Merchandising sind praktisch Selbstläufer. Speziell der asiatische TV-Markt boomt, die Einschaltquoten von bis zu 50 Prozent zaubern den Verantwortlichen ein Lächeln ins Gesicht. In England ist Wimbledon ohnehin ein Volksfest allerhöchster Güte.
Für 35 Euro viel Flair
39.000 Menschen tummeln sich jeden Tag auf der Anlage, die Nachfrage an Tickets übersteigt das Angebot um ein Vielfaches. Bis 2019 wird Court 1, der zweitgrößte Court, mit einem Dach versehen und bietet folglich 1000 weiteren Zuschauern Platz. Weitere Aufstockungen sind nicht vorgesehen, „wir wollen die hohe Qualität und eine gewisse Exklusivität behalten“, sagt Lewis im Sky-Pressegespräch. Wimbledon ist für den einfachen Fan, sofern er an ein Ticket gelangt, ein durchaus leistbares Vergnügen. Für 35 Euro ist ein Ground Pass zu erstehen, damit lässt es sich über das Gelände schlendern, Matches kann man auf den zahlreichen Nebenplätzen verfolgen.
Ein Dauerthema in Wimbledon bleibt die Kleidervorschrift. „Predominantly white“, also überwiegend weiß, muss sie sein. Ausrüstungsriesen wie Adidas oder Nike schicken schon Monate vor dem Turnier Muster nach London, dort werden diese auf ihre Tauglichkeit geprüft. Was den Traditionalisten nicht passt, wird beanstandet. Spielerinnen und Spieler haben sich mittlerweile mit Wimbledons Willen abgefunden, Reibereien gibt es dennoch jedes Jahr.
So wurde die Kanadierin Eugenie Bouchard heuer bei ihrem Erstrundenspiel von der Schiedsrichterin verwarnt, weil sie unter ihrem weißen Oberteil einen schwarzen BH trug. „Ich war mir dessen nicht bewusst. Niemand hat mir irgendetwas wegen meines BH gesagt“, erzählte Bouchard später verwundert. Selbst Richard Lewis gesteht, dass „die Aufregung übertrieben“ war. Aber auch Diskussionen wie diese machen Wimbledon zu dem, was es ist – das Tennisturnier der Welt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2015)