Wer allein Auto fährt, soll zahlen

Bernhard Wiesinger und Willi Nowak
Bernhard Wiesinger und Willi Nowak(c) Die Presse (Voithofer Valerie)
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Bernhard Wiesinger, ÖAMTC, und Willi Nowak, VCÖ, über billige Ideen, den Verkehr zu entlasten – von anderen Schulbeginnzeiten bis zu Anreizen in der Straßennutzung.

Die Presse: Wien wächst. Was ist aus Ihrer Sicht der wichtigste Ansatz, dem Verkehrsaufkommen Herr zu werden?

Willi Nowak: Die Stadt hat hervorragenden öffentlichen Verkehr, aber der Verkehr in das Umland funktioniert wenig, das ist ein Zukunftsproblem. Für mich etwas vom Wichtigsten: Investitionen in Schienenstränge in dieses Umland, bis Bratislava. Der zweite Punkt ist ein kulturelles Problem: eine Stadt, die mit Wiener Linien und ÖBB zwei Verkehrsträger hat. Warum fährt die neue U5 zum Elterleinplatz, nicht zur S-Bahn nach Hernals? Das sind Schwachstellen. Ein weiterer Punkt ist die Wohnbaupolitik: Beim neuen sozialen Wohnbau entsteht Mobilitätsbedarf, da sind heute Entscheidungen nötig.

Bernhard Wiesinger: Öffentlicher Verkehr ist das Rückgrat, ein Ausbau ist notwendig. Aber auch, dass man alle Verkehrsformen mitdenkt, nicht polarisiert und den Autoverkehr bremst. Bis auf die Tangente haben wir kein wirkliches Verkehrsproblem. Bis auf Staus, die man schafft, indem man Spuren wegnimmt oder auf Durchzugsstraßen Tempo 30 verordnet. Auch das Verknüpfen ins Umland ist ein Thema, ich darf Park-and-Ride in der Stadt nicht völlig vernachlässigen.

Steht guten Lösungen Ideologie im Weg?

Nowak: Die Trennung in Gut und Böse gibt es nicht, jeder ist heute multimodal unterwegs. Aber der Autoverkehr braucht im Verhältnis viel Platz. Mit der Parkraumbewirtschaftung waren die Autos von der Fahrbahn weg, jetzt haben die Leute die teureren Garagenplätze gekündigt, die Autos sind wieder da. In ungenutzten Tiefgaragen ist viel Steuergeld aus der Wohnbauförderung begraben. Aber es ist keine Steuerung passiert. Auch für die Nutzung der Garagen, wenn wir sie nicht mehr für Autos brauchen, fehlen Konzepte.

Wiesinger: Bei der Autonutzung bin ich weniger pessimistisch. Privat-Pkw wird es in 50Jahren auch geben, Carsharing ist nur eine Facette. Statt der Verteilkämpfe sollten wir über Nutzung nachdenken: Wie kann ich an Nadelöhren wie dem Karlsplatz Infrastruktur schaffen? Etwa einen High-fly-Kreisverkehr für Radfahrer. Ein anderes Problem: In Straßen, in denen ein Bus fährt, nimmt man Parkbuchten weg, alle stehen hinter dem Bus. Wem bringt das etwas? Oder: Sonntagvormittag stehe ich oft an roten Ampeln. Ich behaupte: kein Zufall. Offenbar will man die Leute lang genug ärgern, dann – glaubt man – würden sie aufhören, Auto zu fahren.

Nowak: Diese Unterstellung teile ich nicht. Aber es gibt viele Ampeln, die man günstiger schalten oder abschalten könnte. Das ist für den Verkehrsfluss oft besser. Zur Infrastruktur: Ein High-fly-Kreisverkehr für Radfahrer ist Hochleistungsinfrastruktur, das ist wichtig, aber nicht für den Alltagsfahrradverkehr im verbauten Gebiet. Da müssen wir Nadelöhre entlasten. Beispiel Bahnhof Penzing, dieser wird gerade umgebaut. Dort ist die Verbindung zum Wiental-Radweg, aber es entsteht keine Rampe. Da fehlt ein Konzept.

Braucht man in Zukunft generell neue Ansätze in der Verkehrsplanung?

Nowak: Der öffentlichen Raum ist als Verkehrsraum definiert, das muss man ändern. Damit Städte lebenswert bleiben, ist der Aufenthalt im öffentlichen Raum, Gehen, wichtig. Die Straßen sind zu Parkplätzen verkommen. Die Erreichbarkeit ist nicht gegeben, weil Autos und Lieferfahrzeuge herumstehen. Da gäbe es Lösungen: Distriktweise Ausschreibungen für Zusteller, einen macht UPS, einen die Post, usw. Und die Fahrzeuge müssen elektrifiziert sein. Auch, dass die Car2Go-Lizenz ohne Auflage, dass das Elektroautos sind, vergeben wurde, war ein Fehler.

Wiesinger: Eine Umstellung von Flotten ist ein Ansatz. Aber zum Aufenthaltsraum: Früher waren die Leute auf der Straße, weil sie zu Hause keinen Platz hatten. Wir leben anders. Eine Stadt lebt von Verkehr. Wenn ich im siebten Bezirk sage: „Ich habe die beste Verbindung, aber jetzt wünsch' ich mir ein Dorf“, das ist Bobo-Chauvinismus. Straße muss Straße bleiben. Parken muss man zulassen, wenn Garagen 150 Euro im Monat kosten.

Nowak: Garagen stehen leer. Die Autos im öffentlichen Raum, da muss man steuern: Verdoppeln wir den Preis des Parkpickerls, aber bieten wir günstigere Garagenplätze.

Was wäre da aus Autofahrersicht sinnvoll?

Wiesinger: Die Parkraumbewirtschaftung, so wie sie ist, hat keinen Sinn. Kurzparker sind ausgeblieben, auch die erwarteten Einnahmen. Man hätte ein abgestuftes Modell gebraucht, bei dem ich Pendlern erlaube, hereinzufahren. Biete ich ausreichend P&R-Plätze um 50 Euro im Monat – im Süden gibt es diese nicht, da ist P&R voll – und kann an einzelnen Tagen um fünf bis sieben Euro am Tag in die Stadt, bringt das Flexibilität. Ein anderer Ansatz wäre der Besetzungsgrad: Wenn ich aktuell 1,1 bis 1,2 Personen pro Auto auf 1,3 bringe, haben wir keine Staus mehr. Warum kann ich nicht, wenn ich zu dritt unterwegs bin, die Busspur nutzen?

Nowak: G'scheit sein bringt oft mehr als technische Lösungen. Stichwort Beginnzeiten: Straßen haben wir genug, nur nicht zu bestimmten Zeiten. Die Landesregierung Tirol etwa ermöglicht ihren Mitarbeitern einen Home-Office-Tag pro Woche – und reduziert den Verkehr so um 20 Prozent.

Wiesinger: Über Schulbeginnzeiten reden wir seit 30 Jahren. Das bringt viel, kostet wenig. Nur hören wir da keine Vorschläge.

Nowak: Vielleicht wäre Geld ein Anreiz? Kostet Straßennutzung zwischen 6.30 und acht Uhr etwas, fangen die Leute an, nachzudenken. Oder: Gratis Fahren bleibt, aber nur ab bestimmtem Besetzungsgrad, allein kostet es. Es gibt Lösungen, die nichts kosten.

Diskussionsteilnehmer

Willi Nowak ist seit der Gründung des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) im Jahr 1988 dessen Geschäftsführer. Der Tiefbautechniker und Geologe hat den VCÖ damals mit Wissenschaftlern und Vertretern von Bürgerinitiativen gegründet. Nowak, selbst seit 30 Jahren Alltagsradler in Wien, hat den VCÖ als Lobby für nachhaltigen Verkehr etabliert.

Bernhard Wiesinger ist der Leiter der Interessensvertretung im ÖAMTC. Der Jurist und Publizist ist damit für Lobbying und Kommunikation des größten Autofahrerklubs – und mit zwei Millionen Mitgliedern einflussreichsten Vereins – Österreichs zuständig. Zuvor war Wiesinger unter anderem bei der Industriellenvereinigung und beim Mobilfunker Hutchison 3G tätig.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)

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