Amerika hat die Finanzkrise überstanden. Aber die langfristigen Probleme bleiben bestehen.
Wien. Wer wissen will, wie es um die US-amerikanische Wirtschaft steht, der braucht einen leistungsstarken Zoom. Je näher man ranzoomt – desto besser sieht es aus. Aber mit ein wenig Abstand offenbart sich ein problematisches Gesamtbild.
Zuerst die Nahaufnahme: Die US-Wirtschaft hat im Juli 215.000 neue Jobs geschaffen, die Arbeitslosenrate liegt mit 5,3 Prozent deutlich niedriger als beispielsweise in der Europäischen Union. Auch der US-Aktienmarkt erfreut sich nur sieben Jahre nach dem Fast-Zusammenbruch des westlichen Finanzsystems wieder extremer Beliebtheit: Höchststände, wo man hinschaut.
Aber noch herrscht Ausnahmezustand. Die Erholung der US-Wirtschaft wurde teuer erkauft – mit rund vier Billionen Dollar aus der Notenpresse der Fed, die per Quantitative Easing in die Märkte gespült wurden. Die US-Staatsschulden haben sich seit 2008 auf mehr als 18 Billionen Dollar verdoppelt. Jetzt will die Federal Reserve die Zinsen bald erhöhen. Das wird der erste große Test für die Post-Krise-Wirtschaft in den USA. Ein Test, der wohl auch die Frage beantworten wird, wie viel Substanz wirklich hinter Börsenstars wie Apple steckt – das zuletzt empfindliche Niederlagen (Stichwort Apple Watch) einstecken musste.
Und dann ist da noch die Vogelperspektive. Ja, die Arbeitslosenrate in den USA ist auf 5,3 Prozent gesunken. Aber gleichzeitig kollabiert die Labour force – also die Gesamtzahl der Amerikaner, die überhaupt arbeiten können – oder wollen. 93,8 von rund 320 Millionen Amerikanern sind heute nicht mehr in dieser Labour force – so wenige wie seit 1977 nicht mehr.
Gleichzeitig sind rund 45 Millionen Amerikaner auf Essensmarken angewiesen. Das Programm für Foodstamps kann auch als Quersubvention der Regierung für Supermarktketten wie Walmart verstanden werden.
Und ähnlich wie in Österreich werden auch die Amerikaner ärmer. Daten der Federal Reserve zufolge haben die amerikanischen Haushalte seit 2000 rund 8,5 Prozent ihres realen (inflationsbereinigten) Einkommens eingebüßt. „Geldmäßig“ geht es dem durchschnittlichen Amerikaner heute nicht besser als 1995, als das reale Einkommen gleich hoch gestanden ist wie 2015. Und anders als bei der Dotcom- oder Immo-Bubble hat der aktuelle Börsenboom bisher auch keine Verbesserung gebracht. (jil)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2015)