Plötzlich keine Erinnerung mehr: David Kross in dystopischer Welt

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Der Thriller „Boy 7“ ist in den österreichischen Kinos angelaufen. Der Hauptdarsteller, David Kross, über Manipulationen und die Drehs bei Nacht.

Das Gefühl für Zeit kommt einem abhanden, wenn die Augen wochenlang kein Tageslicht sehen, der Körper sich nur im Dunkeln oder im künstlich gedimmten Licht bewegt. „Irgendwann“, sagt David Kross, „sind wir zu Vampiren geworden.“ So fiel es ihm auch nicht sonderlich schwer, die wichtigsten Emotionen passend zur Düsternis hervorzurufen: Verwirrung, Angst, Panik. Der Regisseur Özgür Yıldırım hat Kross beschieden, dass er anscheinend ohne Mühe diese starken Gefühle glaubhaft übermitteln könne. Kross sagt dazu, dass ihm die Drehtage in der Nacht – und das waren nun einmal die allermeisten – diese Aufgabe erleichtert hätten.

In Yıldırıms neuem Thriller, „Boy 7“, spielt Kross den jungen Sam, der in einem U-Bahn-Schacht mit einer Wunde, aber ohne Erinnerungsvermögen aufwacht. Was folgt, ist eine rasante, beklemmende Reise in Sams jüngste Vergangenheit. Er hat sich selbst ein Tagebuch geschrieben, damit er sich nach dem Zwangsaufenthalt in einem Resozialisierungsinstitut – wo er Boy 7 genannt wurde – selbst davor warnen kann, was ihm blüht, wenn er erwischt wird. Yıldırım hat eine dystopische Welt erschaffen, die einem schwer an die Substanz geht, zumal er Manipulationen in ihrer Reinform zeigt. Freilich, man werde im Alltag ständig manipuliert, sagt Kross, und nicht immer müsste dies schlecht sein. Der Film hingegen zeige auf, wohin die Manipulation führen könne, wenn Menschen krampfhaft alles kontrollieren wollen.

Kross, 1990 im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein geboren, kann eine ausführliche Schauspieler-Vita vorlegen, und zwar sowohl in deutschen als auch in internationalen Produktionen. In „Der Vorleser“ – Kate Winslet bekam für ihre Rolle den Oscar – mimte Kross den jungen Michael Berg, in „Same Same But Different“ den Backpacker Ben, in Steven Spielbergs „Gefährten“ den Soldaten Günther. Internationale Produktionen, insbesondere US-amerikanische, seien in ihren Dimensionen viel größer, erzählt Kross. Und die Filmsprache Englisch sei im Anfangsstadium gewöhnungsbedürftig: „Es dauert ein bisschen, bis man sich da wohlfühlt.“ In allen Fällen gilt aber: Die Vorbereitung muss gut sein. Für seine Rolle als Hacker Sam hat sich Kross einem richtigen Hacker an die Fersen geheftet, um seine Mimik und Gestik zu studieren.

Und die Tatsache, dass sich Sam an absolut nichts erinnert? Ja, das ist die andere Sache. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist. Es war eine große Herausforderung.“ Man kenne diese Millisekunden, sagt Kross, morgens beim Aufwachen, wenn man nicht genau weiß, wo man sich befindet. Kein wirklich schönes Gefühl. Aber für seine Rolle konnte er sich an diese Momente halten. Überhaupt scheint Kross ganzheitlich zu Sam geworden zu sein. Beim Dreh im unheimlichen Institut, als er an einem Tag erkrankte, habe er sich kurz gedacht: „Jetzt könnte ich wegrennen!“

Nun, im Film ist diese inbrünstige Schauspielerei durchaus zu erkennen. Die billige Kopie eines amerikanischen Thrillers sei der Film jedenfalls nicht, sagt Kross. Yıldırım habe seine eigene Vision gehabt. Und Kross selbst wird inzwischen in anderen Genres zu sehen sein, etwa im Drama „Der General“, der sich dem Wirken Fritz Bauers widmet – der treibenden Kraft hinter den Auschwitz-Prozessen.

Zur Person

David Kross wurde 1990 in Schleswig-Holstein geboren. Er spielt in deutschen und internationalen Produktionen, unter anderem ist er in „Der Vorleser“ und Steven Spielbergs „Gefährten“ zu sehen. In Özgür Yıldırıms Thriller „Boy 7“ mimt Kross den Hacker Sam, der in ein Resozialisierungsinstitut eingeliefert wird und später ohne Erinnerung aufwacht. In Rückblenden wird gezeigt, wie Sam manipuliert worden ist. Der Film ist in den österreichischen Kinos angelaufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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