"Wir sind Wegwerfer": Die Illusion von "zero waste"

Ein Mistkübel trübt die Alpbacher Idylle
Ein Mistkübel trübt die Alpbacher Idylle (c) Katharina Roßboth
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Ein Österreicher häuft in seinem Leben rund 35 Tonnen Haushaltsabfall an. Viel ist vermeidbar, sagt Abfallwirtschaftlerin Huber-Humer.

Es ist ein Strategiepapier zum Thema Abfall, an dem die Europäische Union derzeit werkt. Noch in diesem Jahr soll es präsentiert werden. Das Ziel: eine möglichst geschlossene Kreislaufwirtschaft und damit „zero waste“. Die Problematik: ungleiche Mitgliedstaaten. „In der Erstversion wurden alle über einen Kamm geschert, ohne das starke Abfall- und Recycling-Gefälle zu berücksichtigen“, sagt Marion Huber-Humer, Leiterin des Instituts für Abfallwirtschaft an der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku). Vom zweiten Anlauf erhofft sie sich mehr Feingefühl.

Derzeit gelten Österreich, Deutschland, Dänemark und die Niederlande als Vorreiter, rund 60 Prozent des Abfalls werden recycelt; der EU-Durchschnitt liegt bei knapp über 30 Prozent. „Im Osten und Südosten landen dagegen an die 90 Prozent der Abfälle auf der Deponie“, so Huber-Humer. Diese Länder könnten ihre Recyclingwerte noch verbessern, in anderen Staaten ist das Potenzial bereits weitgehend ausgeschöpft: In Österreich wird etwa Glas zu 85 Prozent wiederverwertet, ähnlich wird bei Papier gearbeitet.

„Ein völliger Kreislauf wird aber nie möglich sein, da sich etwa eine Papierfaser nicht bis zur Unendlichkeit wiederaufbereiten lässt“, sagt die Professorin. Hinzu kommen die Schadstoffe. Wird versucht, auch sie im Kreislauf zu halten, werden sie verdünnt und unüberschaubar. Ein Ausweg sei nur der Verzicht auf gefährliche Inhaltsstoffe bei neuen Produkten sowie das Ausschleusen bereits im Umlauf befindlicher Schadstoffe. Huber-Humer nennt als Beispiel Flammhemmer in Kunststoffgehäusen von Elektrogeräten: „Recycelt man sie, kann es sein, dass sie zu Trinkbechern verarbeitet werden.“ Auswirkungen auf die Gesundheit inklusive.

Ruf nach Bewusstseinsbildung

Auch in den eigenen vier Wänden lässt sich viel verbessern. Laut Schätzungen werden in Österreich im Laufe eines 80-jährigen Lebens grob 30 bis 35 Tonnen Haushaltsabfall angehäuft. Umgelegt auf die Gesamtabfallwirtschaft, zu der auch Baurestmassen, Erdaushub und Industrierückstände zählen, ergibt das an die 560 Tonnen pro Kopf.

Geografisch betrachtet ist das Müllaufkommen in Wien am höchsten, den Gegenpol bildet Vorarlberg. Der Österreich-Durchschnitt liegt bei 480 Kilogramm Haushaltsabfall pro Kopf und Jahr. Es sei ein „Zeichen unserer Zeit, dass uns zunehmend der Überblick und die Zeit für bewusstes Handeln fehlen“. Allerdings wäre ein großer Teil des Abfalls durch überlegte Einkaufslisten und richtige Lagerhaltung vermeidbar.

„Die Wohlstandsgesellschaft aber macht den Menschen zum Wegwerfer“, sagt die Expertin, die auf globale politische und wirtschaftliche Initiativen pocht. Während weltweit rund 870 Millionen Menschen an Hunger leiden, wird rund ein Drittel aller produzierten Lebensmittel entsorgt. Die Rechnung, wonach diese Menge einfach nur umverteilt werden müsste, geht jedoch nicht auf. „Für eine ausgewogene Ernährung in den Schwellen- und Entwicklungsländern braucht es mehr als Lebensmittelabfälle von Europa und Nordamerika“. Nämlich: die Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaften sowie die Reduktion des westlichen Materialverbrauchs. „Noch ist uns das 16. Paar Schuhe wichtiger“, sagt Huber-Humer. „Die Industriestaaten agieren, als hätten sie mehrere Erden zur Verfügung.“ Haben sie aber nicht.

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