Doku: Männermodel, 50, obdachlos

(c) Thomas Wirthensohn
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Model Mark Reay schlief jahrelang auf einem Dach in New York. Sein Vorarlberger Kollege Thomas Wirthensohn hat ihn mit der Kamera begleitet.

Wenn Mark Reay nach Hause kam, blieb er erst einmal unten vor dem Stiegenaufgang stehen – um zu lauschen, ob jemand zu hören ist. Blieb alles still, nahm er die Treppen so schnell wie möglich. Wenn es regnete oder Schnee fiel, war alles leichter – weil er dann nicht fürchten musste, dass reguläre Hausbewohner an seinem Schlafplatz feierten. Denn Mark Reay schlief jahrelang auf einem fremden Dach in New York.

„Wie eine Maus, die aus dem Loch schaut und nach der Katze sucht“, beschreibt er die Angst, entdeckt zu werden. Bevor er sich unter seine Plane legt, zieht er sich mehrere Schichten an. Eine dunkle Mütze soll verhindern, dass man seine hellen Haare sieht. Er bügelt seine Wäsche im Fitness Center, rasiert sich vor spiegelnden Auslagen, wäscht sich in öffentlichen WCs. Obdachlos, sagt Reay, sei er nicht: „Ich habe nur keinen Platz zum Schlafen.“ Urban Camping nennt er das.

Mark Reay ist ein großer Mann, gut aussehend, gut gekleidet, gepflegt, selbst nach einer Nacht im Flugzeug. Er sitzt beim Frühstück im Wiener Hotel Le Meridien, mit seinem Freund, Thomas Wirthensohn. Gemeinsam wollen sie ihren Film vorstellen. „Homme Less“ heißt die Dokumentation über Reays Leben. Sieht man die beiden scherzen („Du hast mich nie zu dir zum Kaffee eingeladen!“ lästert Wirthensohn) – man könnte nicht sagen, wer der Protagonist ist, wer der Regisseur. Tatsächlich haben sich der Amerikaner und der Vorarlberger beim Modeln kennengelernt, in den Achtzigern in Wien. Man verlor sich aus den Augen, traf sich zufällig wieder, hielt losen Kontakt. Als Wirthensohn 2008 von San Francisco nach New York zog, gingen die beiden ehemaligen Kollegen auf ein paar Drinks. „Irgendwann“, erinnert sich Wirthensohn, „sind mir die Fragen ausgegangen, also habe ich ihn gefragt, wo er wohnt.“ Eine Woche später war er am Drehen.

Zwei Jahre lang folgte Wirthensohn, der nach dem schwierigen Übergang vom Model- ins normale Leben inzwischen Werbefilme macht, seinem einstigen Kollegen als Ein-Mann-Filmcrew durch New York. Tagsüber arbeitet Reay als Model, Schauspieler und Fotograf: Ist Statist in der Serie „The Good Wife“, fotografiert für Magazine wie „Dazed and Confused“ backstage während der New Yorker Modewoche oder am Set von „Men in Black“. Verdient hier und dort ein paar hundert Dollar; für eine Miete reicht es nie.

Angefangen hatte es 2008, als er mit Anfang 50 pleite aus Europa kam. In einer Herberge in Williamsburg hatte er sich Bettwanzen eingefangen. „Damit konnte ich weder in ein Hotel noch zu meiner Familie oder Freunden.“ Aber er hatte den Schlüssel zum Wohnhaus eine Freundes – und beschloss, dort auf dem Dach zu übernachten. Dann schlug die Krise ein, Aufträge wurden nie realisiert.

Die Skyline

Seine Familie, sagt er, wisse bis heute nichts davon. „Es ist nicht die Information, die eine alte Mutter über ihren jüngsten Sohn hören will“, sagt er. „Und ich war auch nicht gerade stolz darauf.“ Reay überlegt. „Obwohl, in mancher Hinsicht doch.“ Mitleid will er nicht. „Es war die Lösung eines exzentrischen Mannes, der drei ungewöhnliche Berufe gewählt hat und der in der Stadt leben will, die er liebt.“ Und die Aussicht sei durchaus schön gewesen – auch wenn er heute im Appartement eines Freundes lebt.

Für Wirthensohn ist die Skyline hinter der Plane ein Symbol, „für den unerreichten American Dream“. Unterlegt ist die preisgekrönte Doku von eigens komponiertem Jazz. Kyle Eastwood, der Sohn von Clint, hat ihn geschrieben.

Auf einen Blick

Mark Reay wuchs in New Jersey auf, studierte in Charleston, begann in den Achtzigern zu modeln. Dabei lernte er in Wien Thomas Wirthensohn kennen. 2008 trafen sie sich in New York wieder. Über zwei Jahre hinweg entstand die Dokumentation „Homme Less“. Reays Geschichte fand weltweites Echo. 2014 gewann der Film beim Festival Kitzbühel den Preis als beste Doku und den Grand Jury Award bei Doc NYC. Am Samstag wurde er bei der Fashion Week in Wien gezeigt, ab Freitag (18. September) läuft er im Top-Kino. www.homme-less.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2015)

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