Neues Grenzregime „absurd“

SERBIA HUNGARY REFUGEES MIGRATION CRISIS
SERBIA HUNGARY REFUGEES MIGRATION CRISIS(c) APA/EPA/TAMAS SOKI (TAMAS SOKI)
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Mitglied des Helsinki-Komitees zerpflückt im „Presse“-Gespräch Asylpraxis. Erstes Urteil gegen „Grenzzaun-Verbrecher“: Landesverweis.

Budapest. Ungarns nun lückenloser Grenzzaun und die seit Dienstag drohenden Haftstrafen wegen dessen Überwindung zeigen Wirkung: Die Zahl der Aufgegriffenen sank von 9380 am Montag auf 367 Menschen am Dienstag. Júlia Iván vom ungarischen Helsinki-Komitee für Menschenrechte geißelt das Vorgehen der Behörden an der Grenze als unmenschlich und absurd. Ihre Kritik zielt auch auf die „Transitzonen“, also jene Container, die einen Teil des Grenzzauns bilden und in denen Asylanträge gestellt werden können. „Am ersten Tag wurden nur rund 100 Menschen in die Zone gelassen. Tausende warteten. Das Recht auf Asyl ist damit eingeschränkt“, so Iván. Das sei unter anderem ein Verstoß gegen den Schengen-Grenzkodex, auf den sich die Regierung so gern berufe.

Die ersten 18 Asylwerber wurden in nur „ein, zwei Stunden dauernden“ Schnellverfahren abgelehnt, so Iván. „Es gab zwar einen Übersetzer, aber nur Dokumente auf Ungarisch“, was rechtlich problematisch sei. Auch 88 ungarische Anwälte empörten sich in einem offenen Brief, die neuen Rechtsvorschriften würden völkerrechtliche Verträge, EU-Recht und Ungarns Grundgesetz verletzen. Hinzu kommt, dass das Recht zur Berufung beschnitten wird: „Das muss persönlich geschehen, zugleich werden die Menschen des einzigen Ortes verwiesen, wo das möglich wäre: der Transitzone“, so Iván.

„Richtig absurd ist dabei, dass die Polizei Abgelehnte aus der Zone führt und ihnen erklärt, sie seien nun in Serbien. De facto sind sie auf ungarischem Boden, zwar hinter dem Zaun, aber vor Serbiens Grenze. Es gibt kein Niemandsland“, sagt Iván. Ungarn sei also für die Versorgung zuständig: „Dort sind aber nicht einmal Toiletten.“ Budapest stufte Serbien als sicheren Drittstaat ein. Die Mehrheit der wenigen Asylanträge wurde daher abgelehnt. Es gab aber auch positive Bescheide. 13 Familien wurden zudem aus der Zone ins Lager nach Vámosszabadi gebracht, nur 50 Kilometer von Österreichs Grenze entfernt.

Erste Urteile gegen illegale Grenzgänger fielen vergleichsweise mild aus: Zwei Iraker fassten ein beziehungsweise zwei Jahre Landesverweis aus – wobei auch abgelehnte Asylwerber Berichten zufolge für zwölf Monate aus dem Schengenraum ausgesperrt sind. (strei)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2015)

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