Analyse: Der willkommene VW-Skandal

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VW war auf dem Sprung zum größten Autobauer der Welt. Der Skandal um manipulierte Abgastests kommt vor allem jenen Ländern gelegen, die eine eigene Autoindustrie haben.

Wien. Wäre die Brust noch stolzer geschwellt gewesen, dann wäre Martin Winterkorn wahrscheinlich geplatzt. Ende Juli dieses Jahres konnte der mittlerweile ehemalige Vorstandsvorsitzende verkünden, dass Volkswagen der größte Autobauer der Welt ist. In der ersten Hälfte 2015 verkaufte man 5,04 Millionen Fahrzeuge. 180.000 mehr als Hauptkonkurrent Toyota. Mittlerweile muss man fürchten, dass man im kommenden Jahr ähnlich viele Autos mit manipulierter Software reparieren oder gar zurücknehmen muss.

Natürlich war es Hybris, die VW dorthin gebracht hat, wo es heute steht. Man hat gedacht, man könne die US-Umweltbehörde EPA austricksen. Ausgerechnet. Eine Behörde, die schon vor 15 Jahren einen ähnlichen Trick um Manipulationen bei Abgastests (damals bei Lkw) aufgedeckt hat und deswegen besonders sensibilisiert war. Volkswagen ließ sogar die Chance, die Software heuer im Frühjahr bei einem Rückruf zu adaptieren, ungenützt. Denn die EPA ist in dem Bereich teils sehr kulant: 1998 kamen Honda und Ford wegen manipulierter Abgassysteme mit Strafen von 267 Millionen bzw. 7,8 Millionen Dollar davon.

Schließlich manipulieren alle Autohersteller bei den Abgastests – staatlich sanktioniert. Das NEFZ-Verfahren (Neuer Europäischer Fahryzklus), mit dem Abgas und Verbrauch bestimmt werden, stammt aus den 1980er-Jahren und lässt den Firmen bei den Tests viel Spielraum (u. a. keine Klimaanlage, spezielle Leichtlauföle, erhöhter Reifendruck, verklebte Spalten bei Türen und Karosserie, Durchschnittstempo von 33,6 km/h). Daher kommen die traumhaften Verbrauchswerte (und der geringe CO2-Ausstoß), die in der Praxis kein Fahrer jemals erreichen kann.

Die Umweltschutzorganisation Transport and Environment hat schon 2013 in einem Bericht festgestellt, dass Tests und Praxis bei Abgas und Verbrauch um 23 Prozent auseinanderliegen. In der Nacht auf Freitag legte das US-Institut ICCT nach: Neuwagen würden im Schnitt sogar um 40 Prozent mehr verbrauchen (und mehr Abgase verursachen), als von den Herstellern angegeben. Die Politik hat es bisher zur Kenntnis genommen, erst ab 2017 will man realistischere Test einführen.

USA beherrschten Technik nie

Volkswagen machte seine Manipulation sehr raffiniert – die niederländische Zeitung „de Volkskrant“ lobte die Ingenieure gar dafür, dass es so lang gedauert hat, bis man den Trick entdeckte – und mit der Absicht, die Spritzigkeit seiner Dieselautos zu erhalten. Gerade in den USA ist das wichtig, wo Diesel ohnehin den Ruf hat, ein lahmer Lkw-Antrieb zu sein. Mit eingehaltenen Abgaswerten sind die Autos schlicht schwächer.

Mit der Manipulation hat sich VW auf jeden Fall den Diesel-Hoffnungsmarkt in den USA kaputt gemacht, wo man sich langsam für die kleineren und effizienteren Motoren zu interessieren begann. Möglicherweise auch für BMW und Mercedes. Für die US-Autoindustrie kommt der Skandal gerade recht, denn sie hat die Diesel-Technologie nie wirklich beherrscht. Nur ein paar SUVs und ein einziger Pkw (Chevrolet Cruze) fahren mit dem Kraftstoff.

Auch die amerikanische Regierung wird den Skandal weidlich ausnützen, um ihre eigene Industrie zu schützen bzw. zu pushen. Neben Privat- und Schadenersatzklagen drohen VW Strafen bis zu 18 Mrd. Dollar. Zum Vergleich: GM, das jahrelang defekte Zündschlüsser eingebaut hat, wodurch es mindestens 100 tödliche Unfälle gab, kam bisher mit insgesamt 3,1 Milliarden Dollar davon.

Damit ist die US-Regierung nicht allein. Man muss sich nur anschauen, welche Länder umgehend staatliche Untersuchungen gegen VW angekündigt haben: Italien, Südkorea, Frankreich, Großbritannien, Indien – alles Staaten mit einer wichtigen, eigenen Autoindustrie. Im hart umkämpften Markt ist der „Dieselgate“ ein willkommener Anlass, um Stimmung gegen die ausländische Konkurrenz zu machen und das Vertrauen in die deutsche Ingenieurskunst und Ehrlichkeit zu erschüttern.

Freude bei E-Autoherstellern

Die Debatte führt zweifellos auch zu einer ehrlicheren Diskussion über die Vor- und Nachteile von Diesel und Benzin. Das könnte am Ende dazu führen, dass die Politik die derzeitigen Steuererleichterungen für Dieselkraftstoff streicht.

Wer sich ehrlich über den Skandal freuen kann, sind die Hersteller von Elektroautos. Die Affäre könnte dem bisherigen Nischensegment nachhaltig Auftrieb geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)

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