Institutionen II. Die Brüsseler Behörde zeigt unter Jean-Claude Juncker klare Kanten – oft in Kooperation mit dem Rat.
Brüssel. Es war ein deutlicher Unterschied zu seinem Vorgänger José Manuel Barroso: Er wolle einer „politischen Kommission“ vorstehen, kündigte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seinem Amtsantritt Ende des Vorjahres an. Mit der Ankunft des langjährigen Luxemburger Premierministers und Vorsitzenden der Euro-Gruppe im Brüsseler Bürokomplex Berlaymont wurden in der Tat die Weichen neu gestellt: Junckers Kommission arbeitet anders als ihre Vorgängerin – wobei sich die Frage, inwieweit dieser Wandel einer bewussten Entscheidung oder der normativen Kraft der zahlreichen Krisen geschuldet ist, nicht eindeutig beantworten lässt.
Was allerdings im Lauf des vergangenen Jahres deutlich geworden ist, ist die Tatsache, dass die mancherorts geäußerten Sorgen vor einer schleichenden Erosion des Rats (zumindest bis dato) nicht begründet waren. Als Juncker seine Ansage machte, warnten Kritiker vor einer Politisierung der Brüsseler Bürokratie – denn die Kommission hat im Machtgeflecht der EU eine Sonderstellung: Sie schlägt einerseits Gesetze vor und ist anderseits für die Einhaltung der Spielregeln zuständig. Anhand der für Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissarin, Margarethe Vestager, lässt sich belegen, dass politische Rücksichtnahme kein Kriterium ist: Obwohl Juncker als Luxemburger Premier und Finanzminister die politische Verantwortung für die steuerliche Bevorzugung von international tätigen Konzernen trägt, hat seine Wettbewerbskommissarin genau diese Praktiken an den Pranger gestellt und Verfahren gegen Großkonzerne gestartet.
Panne TTIP
Politisches Gespür lässt sich auch darin erkennen, dass die Brüsseler Behörde unter Juncker nach dem Prinzip „weniger ist mehr“ zu agieren scheint und Rat sowie Europaparlament nicht mit gesetzlichem Mikromanagement belästigt. Es ist kaum vorstellbar, dass Juncker eine ähnliche Panne unterlaufen könnte wie seinem Vorgänger, der 2013 kurzfristig die Idee lancierte, offene Ölkännchen aus europäischen Gastronomiebetrieben zu verbannen – wohl mit dem Hintergedanken, den südeuropäischen Olivenölherstellern unter die Arme zu greifen. Dass die Initiative nach einem Aufschrei der Empörung in den Mistkübel befördert wurde, machte die Angelegenheit noch peinlicher.
Doch nicht überall war Junckers Team erfolgreich. Als politisch misslungen lässt sich rückblickend betrachtet der Umgang mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP bezeichnen. Viel zu lang wollte die Brüsseler Behörde die Verhandlungen mit den USA unter dem Mantel des Stillschweigens führen – und lieferte den Gegner des Abkommens unfreiwillig Munition. Mittlerweile ist die Kommission zwar umgeschwenkt – doch vor allem in Deutschland und Österreich hat sich die Front gegen TTIP in der Zwischenzeit verhärtet.
Hand in Hand mit Merkel
Apropos Deutschland: Zum größten und einflussreichsten Ratsmitglied pflegt Kommissionschef Juncker eine auffallend gute Beziehung – was eine bessere politische Koordination garantiert. In der Flüchtlingskrise beispielsweise war es Juncker, der mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel die Verhandlungen mit der Türkei koordinierte und Merkels Vermittlungsreise nach Istanbul Mitte Oktober plante. Und die Krise veranlasste Juncker auch dazu, am 25. Oktober zum ersten Mal in der Geschichte der EU einen Balkan-Minigipfel im Kommissionsgebäude zu veranstalten. Normalerweise ist die Einberufung von Gipfeltreffen die Domäne von Ratspräsident Donald Tusk – doch mit Deutschlands Rückendeckung ließ sich Juncker dieses Sonderformat einfallen. Angesichts einer Vorbereitungszeit von nur vier Tagen schrammten die mit der Organisation betrauten Kommissionsbeamten knapp an der Überforderung vorbei. Doch im Anschluss wurden die Gipfelergebnisse zwar nicht als überragender Erfolg, doch immerhin als passabel gewartet – was vermuten lässt, dass der Balkan-Gipfel nicht Junckers letztes Großereignis gewesen ist. (la)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)