Österreichs Außenminister Kurz forderte bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Hammond ein offenes Zugehen auf die britischen Änderungswünsche für die EU.
London. Der Anspruch auf Sozialleistungen für Zuwanderer soll EU-weit angepasst werden: Das forderte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) am gestrigen Dienstag in London nach einem Gespräch mit seinem britischen Ressortkollegen Philip Hammond. „Ich bin ganz klar der Meinung, dass es kein Rosinenklauben in der EU geben darf“, so Kurz. Eine Anpassung der Bestimmungen sei erforderlich, um „das Europa ohne Grenzen, in dem ich aufgewachsen bin und an das ich glaube“, zu bewahren, warnte der Außenminister.
Eine Reform des Anspruchs auf Sozialleistungen für legal im Land Beschäftigte ist eine der zentralen Forderungen der britischen Regierung gegenüber Brüssel. Im Wahlkampf hatten die regierenden Konservativen eine Frist von vier Jahren in Aussicht gestellt, wie Hammond gestern in Erinnerung rief. Er räumte aber zugleich ein: „Es sieht so aus, als würde das Änderungen des EU-Vertrags erforderlich machen.“ Kurz wollte eine derartige Möglichkeit nicht ausschließen: „Vertragsänderungen hat es immer gegeben, und sie müssen möglich bleiben.“
In Großbritannien beschäftigte Ausländer zahlen mehr in die Sozialkassen des Staates ein, als sie an Leistungen herausbekommen – die höheren britischen Leistungen werden aber oft als Anziehungsfaktor für Zuwanderer genannt. Auf großes Unverständnis stößt auf der Insel auch die Möglichkeit, etwa für nicht im Lande lebende Kinder Unterstützung zu bekommen und zurück in die Heimat zu überweisen.
„Verbesserungen vornehmen“
Kurz zeigte sich gegenüber den britischen Bemühungen, die Funktionsweise der EU und die Kompetenzverteilung zu hinterfragen, durchaus aufgeschlossen: „Wir sollten uns diesen Fragen offen und ohne Angst stellen. Wo Verbesserungen zu machen sind, sollten wir sie auch vornehmen.“ Es dürfe aber keine Sonderregelungen für Großbritannien geben. „Unser Ziel ist ein starkes Großbritannien in einer starken Europäischen Union“, betonte Kurz.
Was London aber konkret von Brüssel will, das wollten die beiden Außenminister den österreichischen Journalisten nicht verraten. Premierminister David Cameron hatte auf dem EU-Gipfel Mitte Oktober dem Druck der europäischen Partner nachgegeben, die britischen Forderungen endlich schriftlich darzulegen.
In der Londoner Gerüchteküche wird das Schreiben Ende dieser, spätestens aber Anfang kommender Woche erwartet. Es soll folgende Punkte enthalten: Schutz der Nicht-Euroländer vor Mehrheitsbeschlüssen über den Gemeinsamen Markt; keine Teilnahme an einer im Vertrag festgehaltenen, „immer engeren Union“; Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Verwaltungsabbau und eine Änderung der Sozialansprüche.
Hammond meinte dazu gestern nur: „Der Brief wird in den nächsten Wochen kommen, zeitgerecht zum EU-Gipfel im Dezember, und unsere Positionen haben wir bereits wiederholt öffentlich dargelegt.“ Nach Abschluss der Verhandlungen wird die britische Bevölkerung bis Ende 2017 in einer Volksabstimmung über den Verbleib in der EU entscheiden. Angesichts der Flüchtlingskrise in Europa, die ebenfalls Thema bei dem Treffen zwischen Kurz und Hammond war, ist die Stimmung in Großbritannien derzeit auf Kurs zu einem Nein zur EU.
In der Flüchtlingsfrage stimmten beide Außenminister überein, dass für eine Entschärfung die EU ihre Außengrenzen unter Kontrolle bringen und das Problem an der Wurzel behandelt werden müsse: „Mit dem Betrag, mit dem in Österreich ein Flüchtling betreut werden kann, können in der Herkunftsregion 19 Menschen versorgt werden“, erinnerte Kurz.
Garantien für Nicht-Euroländer
Konkreter als Außenminister Hammond zur EU-Reform wurde indes gestern Schatzkanzler George Osborne bei einem Besuch in Berlin. Der starke Mann der britischen Regierung legte ein klares Bekenntnis zu einem Verbleib seines Landes in einer reformierten EU ab: „Wir können das Beste aus zwei Welten haben.“ In einer Rede forderte er Garantien für die Nicht-Euroländer, nicht für Kosten aus Rettungspaketen aufkommen zu müssen und andererseits nicht in der EU-Wirtschaftspolitik benachteiligt zu werden.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel signalisierte Entgegenkommen: „Wir haben immer die Möglichkeit zu Opt-Outs gefunden, wo diese auch gerechtfertigt sind.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)