Interview: Der Vatikan im Sumpf von Privilegien

Gianluigi Nuzzi
Gianluigi Nuzzi(c) APA/EPA/GEORG HOCHMUTH
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Der italienische Aufdecker Gianluigi Nuzzi hält den Reformweg von Franziskus für unumkehrbar. Und er kritisiert Johannes Paul II.: In dessen Amtszeit sei "unsauberes Geld" für den Kampf gegen den Kommunismus verwendet worden.

Die Presse: Im Original trägt Ihr Buch den Titel „Kreuzweg“. Sie wissen natürlich, wie der endet.

Gianluigi Nuzzi: Der Titel ist natürlich im übertragenen Sinn gemeint. Es geht um die Schwierigkeiten, auf die der Papst in seinen Reformbewegungen stößt.

VatiLeaks I hat letztlich auch dazu geführt, dass Benedikt XVI. resigniert hat. Wie wird dieser Kreuzweg für Franziskus enden?

Die Händler im Tempel, wie sie von Seiner Heiligkeit in meinem zweiten Buch („Alles muss ans Licht“, Ecowin Verlag) genannt werden, wurden von Franziskus ihrer Posten enthoben.

Da sind wir bei der größten Schwachstelle Ihres Buches. Die Dokumente, die Sie veröffentlichen, beziehen sich auf eine Zeit vor Reformen und wirken wie Stimmen einer anderen Zeit. Haben Sie Hinweise, dass die Praktiken heute dieselben sind?

Zunächst ist es überraschend, dass man, um Informationen zur Finanzlage des Vatikans zu erhalten, erst darauf warten muss, dass ein Buch erscheint. Natürlich kann der Anspruch eines Buches nicht derselbe sein, wie Sie ihn in einer Tageszeitung haben.

Die Frage war, ob es Hinweise gibt, dass Reformen im Finanzbereich erfolgreich sind.

Das Buch liefert ein Abbild der Situation, wie sie Benedikt XVI. hinterlassen hat. Es erzählt auch von Veränderungen, wie sie Papst Franziskus 2014 eingeführt hat. Das Grundproblem besteht ja darin, dass das nicht Daten sind, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit oder überhaupt veröffentlicht werden. Ein konkretes Beispiel: Zum Peterspfennig (weltweite jährliche Sammlung, Anm.) kann ich berichten, was mit den Einnahmen 2012 geschehen ist. Erst nachdem das Buch erschienen ist, wurde gesagt, dass sich das inzwischen geändert habe. Jetzt fließen tatsächlich 50 Prozent wohltätigen Zwecken zu (und nicht mehr 20 Prozent, Anm.).Aber wohin das Geld genau geht, in welche Institutionen mit welchen Beträgen, hat man zumindest mir nicht gesagt. Um präziser zu antworten: In einigen Bereichen hat es gar keine Veränderungen gegeben. Italienische Kollegen sind mit Kameras in Kardinalswohnungen gegangen, einige mit 500 Quadratmetern Größe, da hat sich überhaupt nichts geändert. Die Verwaltung der Liegenschaften des Vatikans ist immer noch nicht transparent. Das Sekretariat für Wirtschaftsangelegenheiten von George Pell verfügt immer noch nicht über die Befugnisse, die es laut ursprünglichen Planungen haben müsste.


Sie nehmen also an, dass die Finanzgebarung des Vatikans noch immer im Argen liegt.

Ich kann nicht verallgemeinern. Aber noch ein Beispiel, aus dem Sie Schlüsse ziehen mögen: Die offiziellen Verlautbarungen der Vatikanbank besagen, dass 2700 Konten von Laien, von Privatpersonen, geschlossen wurden. Interessieren würde es mich schon, wem diese Konten gehört haben. Es muss ja einen Grund für die Schließung dieser Konten gegeben haben. Wir haben es durchaus mit einem Veränderungsprozess zu tun. Neben Schwarz und Weiß gibt es aber eben auch Grau.

Es wäre kein Einzelfall, wenn Journalisten instrumentalisiert werden. Wurden Ihnen die Informationen zugespielt, um Franziskus zu schaden oder den Druck Richtung Reformen zu erhöhen?

Es lässt sich nicht vermeiden, dass sich ein Buch dieser Art für Instrumentalisierung eignet, vor allem vonseiten jener, die dem Papst mit bösen Absichten am Zeug flicken wollen. Es lässt sich auch nicht vermeiden, dass in gleichzeitig subtiler wie grobschlächtiger Art Leute, die ihre eigenen Süppchen kochen, sagen, das Buch sei ein Komplott. Es ist aber Faktum, dass dieses Buch eine Reihe von Personen kritisiert, die sozusagen einer gewissen Kaste angehören, die ihre Privilegien genießen und letztlich die ihnen anvertrauten Finanzen des Vatikans schlecht verwalten.

Weshalb? Ist es ökonomischer Unverstand? Kriminelle Energie?

In dem Buch kommt Kardinal Vallini (administrativer Leiter des Bistum Rom, Anm.) zu Wort, der sagt, der Umgang mit Geld gehöre für Priester nicht zur DNA. Auf der einen Seite sind es mangelnde Fähigkeiten, ist es schlechte Eignung. Auf der anderen Seite ist es die Trägheit des bürokratischen Systems, die dazu führt, dass manche, die ausreichend schlitzohrig sind, das ausnützen können. Die setzen gewisse Machenschaften in die Tat um, die dazu führen, dass alle, die in dem System sind, in einem schlechten Licht erscheinen. Da kommt dann der Papst und stellt fest, dass in den letzten fünf Jahren der Personalstand des Vatikans um 30 Prozent gewachsen ist. Er stellt fest, dass es nicht eine Personalverwaltung für die 5000 Mitarbeiter gibt, sondern 14 verschiedene Personalverwaltungen. Es gibt Geschäfte im Vatikan, in denen nur Beschäftigte oder Einwohner des Vatikanstaates einkaufen dürfen, das sind 6000. Es gibt aber 41.000 solcher Ausweise, die den Einkauf gestatten. Dieses kleinteilige, weitverzweigte Privilegiengewebe, dieser Sumpf, führt dazu, dass jeder irgendwo auch mit eigenen Interessen involviert ist. Das führt dazu, dass es letztlich ein System des Schweigens gibt. Alle haben Eigeninteressen, dass sich nicht allzu viel ändert.

Wird sich trotz aller Widerstände Franziskus durchsetzen?

Es sind wesentliche Veränderungen im Gang. Vieles wäre noch vor Kurzem unvorstellbar gewesen. Ganz gewiss ist es so, dass Franziskus Machtstrukturen in der Kurie aufbricht. Diese Machtstrukturen haben sich unter Johannes Paul II. ausbreiten können. Der wollte vor allem Polen vom Kommunismus befreien. Zu diesem Zweck wurde sauberes Geld eingesetzt, aber auch unsauberes Geld. Das hat auch Leuten viel Raum gegeben, die dort eigentlich nichts zu suchen hatten.


Ist der Reformweg des Franziskus unumkehrbar?

Davon bin ich überzeugt, dass die Reformen ein unumkehrbarer Prozess sind.

ZUM BUCH

Ein Bestseller ist auch das zweite Buch Gianluigi Nuzzis, „Alles muss ans Licht“, kurz nach dem Erscheinen. In Österreich wurden vom Ecowin Verlag für die deutsche Übersetzung zuerst 35.000 Exemplare gedruckt, und schon geht das Buch in Auflage zwei. Der Vatikan-Aufdecker war am Donnerstag für Werbezwecke zu Gast in Wien, wo ihn „Die Presse“ zum Interview bat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2015)

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