Auf der Suche nach dem Seltenen

Obmann Alfred Graf (stehend) ist stolz auf den Austausch in seinem Briefmarkensammlerverein.
Obmann Alfred Graf (stehend) ist stolz auf den Austausch in seinem Briefmarkensammlerverein. Die Presse (Clemens Fabry)
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Briefmarkensammler suchen nach Fehlern, Patzern, kleinen Auflagen: Eine Liebe fürs Detail zwischen Spritzerkrügen und Leberkäseschnitten.

"Wer ist denn da gestorben?“ Der Mann bleibt im Türrahmen von Alfred Grafs Büro stehen, Hände in die Hüften gestemmt. „Was, schon wieder wer gestorben?“, fragt eine Frau nach. Graf nickt, als wäre das etwas ganz Alltägliches: „Ja. 65 Jahre lang Mitglied war der.“ Tatsächlich ist es beinahe etwas Alltägliches. Grafs Verein, der BSV Favoriten, ist zwar einer der größten Briefmarkensammlervereine Österreichs, aber er ist am Schrumpfen – stetig. Mit seinen bald 75 Jahren schwimme er am unteren Ende des Altersdurchschnitts herum, meint Obmann Graf. Der Nachwuchs? Auf der Liste, die Graf innerhalb einer halben Minute ausgedruckt hat – das Vereinsbüro ist modernst ausgestattet, und Graf beherrscht die Technik; gerade ist er dabei, ein Online–Lexikon für Philatelisten zu bauen –, ist ein Mitglied mit 21 Jahren vermerkt, aber an die Person kann sich Graf gar nicht erinnern. Die Jüngsten, „das sind die 30-, 40-Jährigen“, sagt er, „die, bei denen die Familiengründung schon abgeschlossen ist und die finanziell wieder Fuß fassen“.

„Nicht nur Markenschlecker“

Sein Verein wolle eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung bieten, meint Obmann Graf. „Man ist nicht daheim, aber auch nicht draußen.“ Der Obmann selbst wohnt gleich in einer Etage über dem Vereinslokal: „Ich habe eine sehr verständnisvolle Frau“, sagt er. Die Begeisterung für die Marke sei der rote Faden, der alles zusammenspanne. „Sehen Sie den Mann da drüben?“, fragt Graf und deutet auf einen kleinen, runden Herrn mit roten Wangen und weißem, glänzendem Haar. „Er ist vor einem halben Jahr Witwer geworden. Er hat damals gesagt: Wenn ich euch nicht hätte! Er kommt zu jedem Treffen – aus dem zweiten Bezirk! Wir sind nicht nur die Markenschlecker. Wir haben einen gesellschaftspolitischen Auftrag.“

In dem knapp 200 Quadratmeter großen Vereinslokal an der Favoritner Adresse Zur Spinnerin treffen sie einander, die Briefmarkensammler – mittwochs und sonntags. Die Sammler, das sind in der Regel über 70 Jahre alte Herren mit Strickjacken, großen Brillen, gebräunter Haut, gepflegten Händen, silberfarbenen Haaren, goldenen Halskettchen. Sie kommen mit Koffern und Kästen, in denen sie ihre Schätze transportieren: kleine Mappen, in denen hinter feinen Pergamentstreifen die Marken liegen, mit Pinzetten einsortiert.

40 bis 80 Leute schauen an Sonntagen, 40 bis 50 an einem Mittwoch vorbei. „Bei einem Ländermatch sind es weniger.“ Es sind dabei nicht nur Mitglieder: Gäste kämen genauso wie Touristen. „Die werden sogar von der Botschaft an uns vermittelt!“ – Graf ist sichtlich stolz darauf. Weniger nobel ist hingegen der Titel, den er ebenfalls dank seines Vereins führt: Würstelstandbesitzer. Die weiße Bistrotheke, an der sich die Besucher pikanten Leberkäse und Schinken-Käse-Toast, weißen Spritzer und Puntigamer holen, ist als Würstelstand gemeldet.

Auf den Holztischen im Vereinslokal breiten sie sich dann aus: Mappen und Hefte, kleine Kartonschachteln mit Postkarten, Metallkassetten, Lupen. Das Licht: gleißend hell. „Auf die Beleuchtung legen wir sehr viel Wert, sie ist wichtig, damit die Farben richtig leuchten“, erklärt Graf und deutet auf die weißen Röhrenleuchten an der Decke. Das Licht sei neben der Miete einer der größten Kostenfaktoren des Vereins. „Leider gibt es jetzt nur noch die gelben Röhren zu kaufen“, sagt Graf betroffen, „die weißen dürfen sie nicht mehr verkaufen. Aber die Gelben, die verziehen die Farben!“

Verzogen werden die Farben auch von dem Rauch, der durch die drei Räume des Vereinslokals wabert. Wobei der Obmann stolz darauf ist, dass eigentlich nur mehr in einem der Räume geraucht werde: „Früher hat man gestunken, wenn man hier rausgekommen ist, das sage ich Ihnen – am schlimmsten war die Unterwäsche.“ Aschenbecher stehen dennoch auf jedem der 50 Tische, aber aus einem anderen Grund: „Wenn man die Marken abreißt, muss man die Ränder ja wegwerfen.“

Und was wird überhaupt gesammelt? „Bloß“ um Briefmarken geht es da keineswegs. Jeder der Sammler, der mit seinen Mappen und Kästen an einem der Tische sitzt, hat eine Spezialität, ist Experte in einem bestimmten Gebiet.
Da gibt es etwa den, der sich mit den Anfängen der Luftpost auskennt, der die Routen beschreiben kann und auch erklärt, wie man durch die Luftpost gewisse Flugstrecken finanzieren konnte; der auf die feinen Bleistiftvermerke deutet am Kuvert: „Jeder Brief, der per Luftpost verschickt wurde, hatte eine handschriftliche Nummer.“ Und er weiß auch, dass manche Nummern zwar vergeben wurden, die Flieger mit ihrer Ladung aber nie ankamen: „Abgestürzt.“

Jubel über Fehler

Dann ist da der Herr, der die Gravuren der Briefmarken auf Fehler untersucht. Das seien die winzig kleinen Punkte auf einer Marke – und es gebe davon unterschiedliche Typen; einmal, so erzählt Obmann Graf, habe er einen lauten Schrei gehört. Er sei von dem Gravurspezialisten gekommen: „Wir sind alle hingestürmt, wir dachten, es sei etwas passiert“, erinnert er sich. Und was war passiert? „Er hatte eine neue Gravurtype entdeckt und hat gejubelt.“ An einem der Tische sitzt auch ein Mann mit bundesdeutschem Akzent, „der Mann für die viereckigen Eier“, wie seine Vereinskameraden ihn nennen. Er ist spezialisiert auf – nun ja – viereckige Eier. „So nennen wir Fehler, die auf den Platten auftauchen“, erklärt er. Aus einer ganz normalen Marke werde mit Fehler plötzlich ein Wertstück.

Ein prominentes Beispiel findet sich auch in der Mappe des Mannes für die viereckigen Eier: eine Marke, die intern „Heydrich mit Ei“ genannt wird. Auf der Marke aus Nazi–Deutschland ist der SS-Mann Reinhard Heydrich zu sehen – im Profil. Auf seinem Kopf, so scheint es, wurde ein Spiegelei abgeworfen. Ein Plattenfehler. Besonders, ja – aber Heydrich sei ein Kriegsverbrecher gewesen, das Ei somit irgendwie gerechtfertigt.

Blick in die weite Welt

Die Briefmarke aus der NS-Zeit ist ein Beispiel für das, was Graf und seine Vereinskollegen an ihrem Hobby schätzen: „Die Geschichte lernt man zwangsläufig dazu“, sagt der Obmann, der – als ehemaliger Söldner – über Kriege detailgenau parlieren kann. Jahreszahlen merkt er sich manchmal über die Daten von Schlachten. Die Marke selbst ist im Moment nicht das Sammlergut Nummer eins im BSV Favoriten. Postkarten und Briefkuverts seien besonders gefragt – Belege genannt – und sind in sich geschichtsträchtig: Auf einer Postkarte aus Salzburg ist in geschwungener Schrift ein Andenken an eine Rede Adolf Hitlers in Salzburg niedergeschrieben, der auch auf der Vorderseite prangt. Eine andere Karte, aus Mussolinis faschistischem Italien, kommt mit deutschen Zensurkontrollstempeln daher. Darauf sind zwei Zeilen unschuldigen Grußes: Man hält mehr in der Hand als eine bloße Marke, und ganze Kästen von Karten und Kuverts wandern über die Tische im Vereinslokal.

Für Graf selbst sei die Marke ein Blick in die weite Welt gewesen: Er habe als 13-, 14-jähriger Gymnasiast mit dem Sammeln begonnen. Auch sein Vater war Sammler – der junge Alfred Graf warf einmal versehentlich dessen Alben zu Boden und musste die Marken wieder einsortieren. Der Beginn einer Faszination: „Das Zusammenräumen war da nur am Anfang fad.“

Damals, als junger Bursch, hätte er natürlich andere Motive interessant gefunden: „Schmetterlinge zum Beispiel.“ Dass die Jugendlichen heute die Marken nicht mehr spannend fänden, ist für den technikbegeisterten Graf ganz logisch: „Wenn ich heute einen Schmetterling sehen will, gehe ich einfach auf YouTube und sehe mir den da an.“ Geträumt habe Graf als Jugendlicher von den Marken aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg – damals unerschwinglich. „Heute bekommt man so einen Satz um 4000 Euro.“ Generell gelte die Regel: Je kriegerischer die Zeiten, desto wertvoller die Marken, sagt er. Es gebe schlicht weniger davon. Dieses Besondere, Einzigartige in der Hand zu halten: YouTube könne das nicht bieten. (epos)

Teure Götter, unzählige Motive

Niemand kann sich ihr entziehen. Die Briefmarke ist nicht nur ein fixer Bestandteil des Alltags der Österreicher, ihre Motive sind auch ein Spiegel der Geschichte der Alpenrepublik. Doch wie viele werden jährlich produziert, was ist die teuerste Marke? Ein Überblick.

65.565.000 Ausgesprochen: 65,5 Millionen. So viele Briefmarken wurden allein im Jahr 2015 in Österreich gedruckt. Die Zahl beinhaltet sowohl Sonder- als auch Dauermarken. Wobei Letztere freilich den Großteil ausmachen. Dauermarken sind Briefmarken, die einem in der Post ausgehändigt werden, wenn man ganz normal einen Brief verschicken will. Als Motive sind darauf derzeit unter anderem Impressionen aus Österreich zu sehen, die Festung Hohensalzburg, der Uhrturm in Graz und das Heidentor in Carnuntum.

15.000 Euro. Auf diesen Betrag wird die teuerste Marke Österreichs geschätzt. Es ist die Zinnoberrote Merkur. Die „Merkure“, die den Kopf des römischen Götterboten Merkur ziert, gab es in mehreren Farben. Die Marke wurde früher für den Versand von Zeitungen verwendet. Heutzutage gibt es nur mehr 50 Stück von ihr.

300 Briefmarken-Sammelklubs gibt es laut dem österreichischen Dachverband geschätzt in ganz Österreich. Die Philatelistenvereine, wie sie korrekt heißen, haben eine lange Tradition. Der Dachverband feierte 2011 sein 90-jähriges Bestehen. Die Mitglieder der Philatelistenvereine sind laut Post AG übrigens im Schnitt zwischen 65 und 70 Jahre alt. Auch ist Briefmarkensammeln ein Männerhobby. Frauen sind bei den Markensammlern eher weniger vertreten.

175 Jahre. So lange gibt es die Briefmarke schon. Die erste Briefmarke wurde am 1. Mai 1840 in Großbritannien gedruckt und war die One Penny Black. Sie zeigte das Konterfei der britischen Königin Victoria. Pech für Österreich. Fünf Jahre vor dem Druck der ersten Penny Black hatte eigentlich der österreichische Buchhalter Laurenz Koschier schon die Idee, „aufklebbare Brieftaxenstempel“ einzuführen. Mit seinem Ansinnen ging er zum damaligen Präsidenten der k. u. k. Allgemeinen Hofkammer, sozusagen des Finanz- und Handelsministeriums der damaligen Zeit. Doch dort zeigte man kein Interesse. Der Vorschlag blieb in einer Schublade liegen.

55–65 neue Briefmarken-Motive werden jedes Jahr in Österreich ausgegeben. Dabei beschränkt man sich schon längst nicht mehr „nur“ auf neue Bilder, die auf Papier gedruckt werden. Die Post experimentiert mit allen möglichen Materialien. So gab es im Vorjahr eine Marke aus Augarten-Porzellan, es gab bereits eine mit Swarovski-Kristallen, nächstes Jahr kommt eine aus Glas sowie eine bestickte Dirndlkleid-Marke – das Pendant zur heuer ausgegebenen Lederhosen-Marke. Auch mit verschiedenen Druckverfahren wird gearbeitet. So ist etwa der Stichtiefdruck bei Sammlern sehr beliebt.

4–6 Monate Vorlaufszeit haben neue Briefmarkenmotive derzeit. Das inkludiert die Ideenfindung, die Genehmigung durch den Philateliebeirat, den Sanktus von Post-Generaldirektor Georg Pölzl und die Anlieferung. Wie die Ideen für die Marken entstehen, ist recht unterschiedlich. Einerseits gibt es Anträge. Die TU etwa stellte einen Antrag für eine Marke zu ihrem 200. Geburtstag. Andere sind Teil fixer Serien, wie etwa „Alte Meister“, bei denen die Motive zum Teil schon zu Beginn der Serie festgelegt werden. Andere Briefmarkenmotive entstehen durch die Recherche der Philatelie-Abteilung der Post.

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