Parlament: Ein „omafittes“ Budget und andere Wahrheiten

NATIONALRAT: FAYMANN / MITTERLEHNER / STROLZ
Die Regierungsspitze forderte Neos-Klubchef Strolz in der Budgetdebatte auf, sich zu beruhigen, sie wurde aber nicht erhört.(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Fluch oder Segen? Der Voranschlag für 2016 polarisiert im Plenum. Chronologie einer emotionalen Debatte.

Wien. Während die Philosophie noch immer keine endgültige Antwort auf die Wahrheitsfrage geben kann, hat der österreichische Nationalrat seine Definition längst gefunden: Wahr ist, was der jeweilige Redner gerade sagt. Wenn auch meistens nur für einen Moment.

Die erste Wahrheit wird am Dienstag, dem ersten von drei Debattentagen zum Budget 2016, von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache formuliert: Mit diesem Voranschlag setze die Regierung ihren Schuldenweg konsequent fort. Einnahmen von 71,9 Milliarden Euro stehen Ausgaben von 77 Milliarden gegenüber, was unter dem Strich ein Minus von 5,1 Milliarden Euro ergibt. Flüchtlingskosten nicht eingerechnet. Das Problem sei, dass SPÖ und ÖVP Reformen verweigerten: „Das ist traurig, aber nicht wirklich überraschend.“ Strache hat „die Hoffnung längst aufgegeben“.

Grünen-Chefin Eva Glawischnig hat das nicht, auch wenn ihre Wahrheit nicht viel optimistischer klingt. Sie verlangt, dass das 340-Millionen-Loch im Bildungsbudget gestopft wird und rechnet mit Kürzungen bei den Familienleistungen, weil die Dienstgeberbeiträge im Familienfonds (FLAF) gekürzt werden. Sie solle die Leute nicht „unnötig verunsichern“, rät ihr daraufhin ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka. Wahr sei vielmehr, dass die Familienleistungen nächstes Jahr erhöht werden.

Matthias Strolz fragt wenig später in die Runde, ob irgendjemand glaube, dass dieses Budget „enkelfit“ sei? Als er aus den Tiefen des Plenums die Antwort „Ja“ erhält, wird der Neos-Klubobmann zornig: „Dann fehlt es Ihnen an Ernsthaftigkeit!“ Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, hinter Strolz auf der Regierungsbank sitzend, fordert ihn auf, sich zu beruhigen, wird aber nicht erhört: Wie solle man sich da beruhigen, wenn die Regierung ein Budget vorlege, von dem sie wisse, „dass es sich nicht ausgehen kann.“ Nichts weniger als „ein Schwindel“ sei das, sagt Strolz.

Überhaupt nicht, sondern: die Wahrheit natürlich, kontert SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer. Dieses Budget sei nicht nur „enkelfit“, sondern – dank der Steuerentlastung, in deren Genuss auch Pensionisten kommen – auch „omafit“. Dazu kommt später noch die Zuschreibung „opafit“, wenn auch in eher negativem Zusammenhang. Denn Stronach-Mandatarin Waltraud Dietrich findet, dass es sich die „älteren Herren in der Politik“ wieder einmal gerichtet hätten.

 

Defizitberechnung umstritten

Stronach-Klubchef Robert Lugar handelt sich eine Rüge des Bundeskanzlers ein, weil er prophezeit, dass die Registrierkassenpflicht tausende Betriebsschließungen zur Folge haben werde. „Steuerbetrugsbekämpfung“, sagt Werner Faymann, sei „eine Frage des Anstands“. Auch den Vorwurf der Reformfaulheit lässt er, mit Verweis auf die Steuerreform, nicht gelten. Außerdem werde man 2016 – nichts als die Wahrheit – wieder ein strukturelles (um Konjunkturschwankungen bereinigtes) Nulldefizit erreichen. „Das sind stabile Finanzen.“ Innerhalb der Regierung ist diese Berechnungsmethode jedoch umstritten, weil sie der Wahrheit vielleicht doch nicht so nahe kommt. „Das strukturelle Defizit versteht niemand“, sagt nämlich Finanzminister Hans Jörg Schelling, als Faymann nicht mehr im Saal ist. Es sei „intransparent“.

Den Titel „Platzwart auf der rot-schwarzen Proporzwiese“, den ihm FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl verliehen hat, nimmt Schelling dagegen sportlich: Wenn die FPÖ mit ihren Prognosen baden gehe, „wovon ich ausgehe“, dann sei Kickl „eben der Badewaschl“. Denn budgetpolitisch beschreite die Regierung den richtigen Weg – auch wenn klar sei, dass weitere Reformen notwendig seien. „Da müssen wir das Tempo erhöhen.“

Fürs Erste wird am Dienstag das Budgetbegleitgesetz – mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP – beschlossen. Darin sind unter anderem das Bonus-Malus-System für Unternehmen und eine Senkung der Lohnnebenkosten enthalten. Über das eigentliche Budget wird erst am Donnerstag abgestimmt. Die dazugehörige Wahrheit ist wohl, frei nach Andreas Khol, eine Tochter der Zeit. (pri)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)


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