Putin setzt auf Russlands Stärke

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Vor dem Föderationsrat forderte Wladimir Putin Einigkeit im Kampf gegen den Terror – und bot für das Wahljahr 2016 keine neuen Rezepte gegen Korruption.

Wien/Moskau. Die Rede begann mit Schweigen. Zu einer Schweigeminute rief Russlands Präsident, Wladimir Putin, am Beginn seiner alljährlichen Rede vor dem Föderationsrat auf, der zweiten Kammer des russischen Parlaments. Sie war jenen Soldaten gewidmet, die im Kampf gegen den Terror gefallen sind. Anwesend waren auch die Ehefrau des in Syrien getöteten Piloten sowie die Gattin des Luftlandesoldaten, der bei der Rettungsoperation nach dem Abschuss des russischen Jets durch die Türkei umgekommen war.

Russlands Kampf gegen den Terror, der Kampf für die großen Begriffe „Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit“: Dieses Motiv dominierte die außenpolitischen Überlegungen des Präsidenten, in denen ein Verweis auf die Ukraine gänzlich fehlte. Putin – sicher, aber nicht auftrumpfend – rief die schrecklichen Attentate in Erinnerung, die Russland in den vergangenen zwei Jahrzehnten geplagt haben: die Geiselnahmen von Budjonnowsk, Beslan, Moskau; die Anschläge in der Moskauer Metro und am Flughafen Domodedowo; das Selbstmordattentat vor zwei Jahren auf einen Bahnhof in Wolgograd; das Zivilflugzeug auf dem Sinai, das sich in diese Serie einzureihen scheint.

„Allah hat die Clique bestraft“

Dass die früheren Anschläge die Taten einheimischer, oft tschetschenischer Islamisten waren, die sich gegen das russische Vorgehen im Nordkaukasus richteten, der letztere Anschlag eine Tat der mittlerweile global agierenden Terrororganisation Islamischer Staat war – diese Differenzierung durfte man nicht erwarten: Es seien Angriffe gegen den Staat, gegen die er sich zur Wehr setzen müsse, sagte Putin.

Die Schuld für die IS-Terrorbedrohung gab Putin dem Westen (wiewohl er keine Staaten nannte), der mit seiner Interventionspolitik in Nordafrika und dem Nahen Osten „brutal seine eigenen Regeln aufdrängen“ wolle. Und auch der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, dem Russland nun Ölgeschäfte mit dem IS vorwirft, bekam einmal mehr sein Fett ab: „Womöglich hat Allah entschieden, die türkische Herrscherclique zu bestrafen, indem er ihr den Verstand wegnahm.“ Moskau werde weiterhin hart, aber rational reagieren. Die Vorbereitungen für die Turkish-Stream-Pipeline, ein russisch-türkisches Projekt im Schwarzen Meer, wurden gestern gestoppt. Indes traf Außenminister Sergej Lawrow seinen türkischen Kollegen, Mevlut Çavuşoğlu, in Belgrad am Rande der Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE); die Unterredung dauerte 40 Minuten. Bisher hatte Putin türkische Anfragen nach Treffen geflissentlich ignoriert.

Innenpolitisch hatte Putin wenig Neues zu bieten. Der Präsident rief zu fairen Duma-Wahlen im September 2016 auf. Fast fünf Jahre ist es her, dass er bei den letzten Parlamentswahlen um seine Macht fürchten musste, nachdem Bürger wegen Manipulationen auf die Straße gegangen waren. Putin forderte unabhängigere Gerichte, thematisierte die schwierige Wirtschaftslage angesichts des niedrigen Ölpreises und der Sanktionen und drohte korrupten Beamten. Auch Generalstaatsanwalt Juri Tschaika, der vom Oppositionellen Alexej Nawalny dieser Tage schwer belastet wird, hörte im Publikum zu. Tschaikas Sohn Artjom soll auf dubiosem Weg millionenschwerer Hotelbesitzer in Griechenland geworden sein; Tschaika senior, der laut Nawalny kraft seines Amtes seinen Sohn decke, wies die Anschuldigungen von sich. Putin kündigte keine überraschenden Ansätze zur Krisenlösung an, auch kein radiales Aufräumen. Einschnitte in den Gesellschaftsvertrag erscheinen im Wahljahr 2016 wenig wahrscheinlich. Der Präsident scheint darauf zu hoffen, dass die russische Demonstration von Stärke international weiterhin verblüfft und auch nach innen als gesellschaftliches Bindemittel wirkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2015)

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