Jerlan Idrissow: "Wir sind grundsätzlich gegen Sanktionen"

Kasachstans Außenminister, Jerlan Idrissow
Kasachstans Außenminister, Jerlan Idrissow(c) AUSSENMINISTERIUM/DRAGAN TATIC
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Kasachstan ist mit Moskau befreundet und mit der Türkei verwandt. Wie es deren Konflikt und die Causa Alijew sieht, erklärt Außenminister Jerlan Idrissow.

Die Presse: Jahrelang hat Kasachstan Druck gemacht, dass Österreich Rachat Alijew, Ex-Schwiegersohn von Präsident Nursultan Nasarbajew, ausliefert beziehungsweise verurteilt. Alijew wurde dann erhängt in einem österreichischen Gefängnis gefunden. Seine zwei angeblichen Mittäter sind vom Mordvorwurf freigesprochen worden. Ist das nicht eine Niederlage für Kasachstan? Ihr Land könnte den Gerichtsprozess nochmals in Gang setzen.

Jerlan Idrissow: Es ist nicht mein Zuständigkeitsbereich, sondern der der Justiz und Exekutive. Über einen Toten sagt man bei uns nie etwas Schlechtes. Was eine Weiterführung des Prozesses betrifft, so ist es Sache der Kläger (der Witwen der angeblich von Alijew und seinen Mittätern ermordeten Banker). Für uns ist das im Moment keine Agenda.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kasachstan mit dem Ausgang zufrieden ist.

Das behaupten Sie.

Es war als Frage gedacht.

Ich lasse es als Ihre Formulierung so stehen und werde es nicht weiter kommentieren. Was passiert ist, ist passiert. Ich überlasse es der Justiz und Exekutive, auf Ihre Frage zu antworten.

Mit Österreich hat Kasachstan noch andere Reibungspunkte – etwa die langwierige Frage der Lockerung oder Abschaffung der Visumspflicht. Nun steht 2017 die Weltausstellung in Astana bevor. Werden die Visa 2017 für immer abgeschafft?

Wir haben mit Österreich keinerlei Reibungspunkte. Was die Visa betrifft, haben wir mit Österreich eine beiderseitige Visumspflicht. Wir haben einige Vorschläge eingebracht, um das zu lockern. Österreich prüft das.

Aber es gibt keinen Fortschritt.

Das kann man so nicht sagen. Es wird im Rahmen eines normalen Arbeitsprozesses darüber diskutiert. Unsere Politik ist, das Land zu öffnen. Daher haben wir auch ein Pilotprojekt gestartet, in dem wir heuer die Visa für die 20 wichtigsten Wirtschaftspartnerländer abgeschafft haben.

Und ab 2017 wird das auf alle OECD-Länder, also auch Österreich, ausgeweitet?

Die Entscheidung darüber steht noch aus. Es hat noch damit zu tun, dass in Astana ein internationales Finanzzentrum errichtet werden soll – eine Kopie des Finanzzentrums in Dubai, in der Mitte zwischen den Finanzzentren Frankfurt und Hongkong. Dafür braucht es noch die entsprechenden Gesetze.

Sie haben viel Großes angekündigt, etwa die fünf großen institutionellen Reformen (darunter die Korruptionsbeseitigung) mit 100 konkreten Schritten zu ihrer Umsetzung. Kasachstan-Erfahrene erzählen, dass das Problem bei früheren Großplänen schon immer die Umsetzung war. Warum soll es jetzt besser gelingen?

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Allein die Tatsache, dass Sie und Ihre Gesprächspartner von den Plänen wissen, ist ein gutes Zeichen. Das Dilemma zwischen Plänen und Umsetzung ist ein allgemeinmenschliches. Aber es gibt eine gute Formel: Gute Gedanken werden zu guten Worten, und aus diesen werden gute Taten. Daran halten wir uns.

Ende November sind Sie nach 19 Jahren Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO beigetreten. Nach Russlands Beitritt gab es wiederholt Probleme, weil Russland eigene Produzenten doch wieder übermäßig subventionierte. Muss man damit auch in Kasachstan rechnen, zumal über ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist?

Da vermuten Sie Falsches. Wir haben jahrelang über die Bedingungen verhandelt, und zwar ausgehend vom Wachstumsbedarf unserer Wirtschaft. Wir haben alle unsere bilateralen und multilateralen Verpflichtungen – im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion (mit Russland u. a., Anm.) – berücksichtigt. Für die Übergangszeit gibt es ausreichend Möglichkeiten, um die Entwicklung diverser Sektoren sicherzustellen.

Ihr WTO-Beitrittsprozess hat sich auch deshalb hingezogen, weil Sie schon vorher mit Russland und Weißrussland in der Wirtschaftsunion waren. Russland geht in Richtung Protektionismus, während Kasachstan sich öffnen will und bei dem russischen Embargo gegen Waren aus der EU und der Türkei nicht mitmacht. Kann man auf zwei Stühlen gleichzeitig sitzen?

Wir sitzen sehr angenehm. Außerdem stimmt es nicht, dass wir uns öffnen, denn wir waren immer offen. Und drittens sind wir grundsätzlich gegen die Politik von Sanktionen, weil sie allen schadet. Auch wir sind indirekt von den gegenseitigen Handelsbeschränkungen zwischen EU und Russland betroffen. Aber wir passen uns an und hoffen, dass diese nicht weitsichtig etablierten Sanktionen bald ein Ende haben.

Kasachstan ist – allein schon sprachlich – den Türken sehr nahe, gleichzeitig aber auch Russland. Denken Sie nicht, dass die Wirtschaftssanktionen Moskaus als Reaktion auf den Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch die Türkei überzogen sind?

Wir bedauern, dass dieser traurige Vorfall des Flugzeugabschusses stattgefunden hat. Und wir meinen, dass er den allgemeinen Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus schaden kann. Und wir hoffen und rufen dazu auf, dass diese beiden großen Staaten den Konflikt beilegen. Wir schlagen uns da auf keine Seite.

ZUR PERSON

Jerlan Idrissow (56) ist seit 2012 Außenminister des größten zentralasiatischen Staates Kasachstan. Zuvor war Idrissow Botschafter in Großbritannien, Skandinavien und den USA. In der Vorwoche weilte er zu Besuch in Österreich und traf hier mit seinem Amtskollegen Sebastian Kurz zusammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)

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