Briefe ans Christkind

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Seit 65 Jahren bearbeitet man im Postamt Christkindl in Steyr Briefe von Kindern. Interessant ist, wie sich Wünsche und Ängste der Kleinen geändert haben.

Es war, erinnerte sich Alfred Wallner, einer seiner traurigeren Adventtage. Grund war der Brief eines kleinen Mädchens an das Postamt 4411 in Oberösterreich: „Liebes Christkind“, stand da, „kannst Du bitte meiner Mama schöne Weihnachten wünschen und ihr schöne Grüße von mir ausrichten. Sie ist heuer im Sommer gestorben.“

Also setzte sich Wallner an den Schreibtisch und schrieb zurück – als Christkind. Dass es der Mama gut gehe und dass sie immer da sei für ihre Tochter und immer auf sie schaue. „Ein paar Zeilen helfen in so einem Fall sehr viel“, sagte Wallner. „Umso mehr, wenn sie vom Christkind kommen.“

Es kamen viele Zeilen in den 65 Jahren, seit das Christkind eine Adresse in Oberösterreich hat. „4411 Christkindl“ lautet die Anschrift des Sonderpostamts im Ortsteil von Steyr, das immer zu Weihnachten geöffnet ist und über das allein im vergangenen Jahr etwa zwei Millionen Briefe abgefertigt wurden. Die meisten für Firmen und Unternehmen, die für ihre Kunden originelle Weihnachtswünsche wollten: versehen mit dem Poststempel „Christkindl“.

Ein paar tausend Briefe kommen aber auch von Kindern aus aller Welt, die an das Christkind glauben und ihre Wünsche „An das Christkind, Postamt Christkindl, Österreich“ schicken. Oder auch von ihren Sorgen und Ängsten schreiben, wie das kleine Mädchen.

„Nein, solche Briefe hatten wir heuer überhaupt nicht“, sagt Martina Prinz, die das Postamt mit den zehn Mitarbeitern leitet. „Heuer kamen in erster Linie Weihnachtswünsche.“

Es hat sich viel verändert, seit im Herbst 1950 das Postamt zum ersten Mal aufsperrte. Das Gespräch mit Alfred Wallner fand vor 25 Jahren statt für einen Artikel in einer Adventausgabe der „Presse“ („Der Osten entdeckt 4411 Christkindl“, 20. 12. 1990). Wallner leitete viele Jahre das Postamt in Oberösterreich, er ist 2012 verstorben. Das kleine Mädchen von damals ist mittlerweile wahrscheinlich selbst Mutter.

Damals, 1990, gab es viele sehr persönliche Briefe an das Christkind – auch von jenen, die die weihnachtliche Enttäuschung, die mit dem Älterwerden einhergeht, schon erlebt haben und sich dennoch unabhängig von Glauben oder Wissen nach einem spirituellen Weihnachten sehnten. Wie die Mutter aus den USA, die sich Weihnachtswünsche vom Christkind für ihren im Gefängnis sitzenden Sohn erbat. Oder der Jugendliche, der an Krebs erkrankt im Krankenhaus lag und vom nahen Tod schrieb.


Vorgedruckte Schreiben. Alfred Wallner hat damals viele dieser Briefe selbst beantwortet. „Ein paar tröstende Worte“ habe er immer zurückgeschrieben, wie sie ihm eben eingefallen sind.

Mittlerweile hat man beim Postamt Christkindl vorgedruckte Briefe, die auch in Englisch an die Absender zurückgehen. Wenn es Briefe mit persönlichen Anliegen sind, setzen sich die Postmitarbeiter für eine Antwort an den Computer. Und wenn es Schreiben sind wie die, von denen Wallner erzählte – Krebs, Tod, Krankheit –, leitet man sie an die lokale Pfarre weiter.

„Ich kann mich eigentlich gar nicht mehr erinnern, wann wir den letzten Brief erhalten haben“, sagt Elisabeth Kamptner, die Assistentin der Pfarre Steyr-Christkindl, die mittlerweile, wie viele Gemeinden in Österreich auch, keinen eigenen Pfarrer mehr hat. „Heuer war es kein Brief, vergangenes Jahr auch nicht – es ist schon viele, viele Jahre her, dass wir einen schwierigen Fall vom Postamt bekamen.“ Und wenn man sie jetzt so auf die Schnelle fragt, dann fällt ihr auch kein Beispiel mehr ein für einen schwierigen Fall in der Vergangenheit.

„Es hat sich viel geändert“, meint Martina Prinz. Sie hat es erlebt in den 20 Jahren, die sie schon für das Postamt Christkindl arbeitet. Erstens der Schreibstil: „Früher haben die Kinder ausführlicher geschrieben, das waren richtige Briefe, in denen sie auch erzählt haben, wie sie Weihnachten feiern und was sie in der Adventzeit machen. Heute lauten viele Briefe: ,Liebes Christkind, bitte schenke mir‘ und dann kommt ein Doppelpunkt und die Liste mit den Wünschen.“ Und zweitens natürlich die Anliegen: „Manche wünschen sich schon Frieden, gerade heuer, da so viel Schreckliches passiert. Aber eigentlich geht es mehr um Wünsche.“

Sind die Kinder abgebrühter geworden, kommerzieller, nur noch interessiert an den neuesten Handys und den coolsten Spielen? Glaubt man schon nicht mehr an ein Christkind, wenn man endlich halbwegs schreiben kann? „Vielleicht“, meint Prinz. „Früher hat man länger an das Christkind geglaubt, heutzutage sagt man den Kinder ja schon viel früher, dass es das gar nicht gibt.“ „Wahrscheinlich gehen Kinder heute auch anders mit ihren Sorgen und Problemen um“, meint Sissy Kamptner.

Nur in manchen Fragen bleiben Kinder lang kindlich. „Liebes Christkind“, schrieb eine Marie. „Bring mir bitte heuer einen Bruder (geheim, Mama weiß es noch nicht).“

Fakten

1950
versahen erstmals zwei Beamte Dienst und stempelten 42.330 Briefe mit dem Poststempel „4411 Christkindl“ ab.

Zwei Millionen
Briefe werden mittlerweile jedes Jahr in Steyr abgefertigt. Es sind in erster Linie Weihnachtswünsche, die von Firmen verschickt werden.

Die Pfarre Christkindl entstand, weil Ende des 17. Jahrhunderts Ferdinand Sertl an einer einsamen Stelle im Wald um Genesung von seiner Epilepsie betete. An einer Fichte gestaltete er mit dem Bild der heiligen Familie und einer Christkindl-Figur aus Wachs seinen eigenen Altar. Bald verschwanden die Anfälle, und er schrieb die Genesung dem Christkindl zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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