Die Türkei lässt kaum noch syrische Kriegsflüchtlinge ins Land. Von der EU wird für die Betreuung der angekommenen Schutzbedürftigen eine Milliardenhilfe gefordert, doch das Geld fließt nicht.
Ankara/Brüssel. Die türkische Regierung agiert in der Flüchtlingskrise nicht anders als viele europäische Regierungen. Sie versucht, den Zustrom einzudämmen und zu erschweren. Für die bereits angekommenen 2,5 Millionen Flüchtlinge fordert sie Hilfsgelder der EU. Gleichzeitig betont Vizepremier Mehmet Şimşek, dass es nicht gelingen werde, den Strom Richtung EU gänzlich zu stoppen.
Die Methoden, die Ankara anwendet, um den Zuzug ins eigene Land zu reduzieren, haben mittlerweile internationale Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. So kritisiert Human Rights Watch, dass die Türkei die legale Einreise von Schutzbedürftigen aus Syrien faktisch gestoppt habe. „Immer mehr Syrer werden an der Grenze zurückgewiesen“, so Gerry Simpson, Flüchtlingsexperte von Human Rights Watch.
Der Anschlag in Istanbul durch einen Attentäter aus Syrien dürfte die türkische Regierung zu einem noch restriktiveren Vorgehen motiviert haben. Sie versucht nun auch, die Schmugglerrouten einzudämmen. Flüchtlinge berichten, dass türkische Grenzsoldaten auf sie geschossen hätten. Seit vergangener Woche hat die Türkei auch den Zuzug über Drittstaaten eingeschränkt.
Der Flüchtlingsstrom aus der Türkei Richtung Europa ist indessen weiter im Gang. Allein in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres sind 23.300 Menschen über das Meer nach Griechenland geflohen. 50 kamen in diesem Zeitraum bei der Überfahrt ums Leben. Weitere neun starben vor der italienischen Küste. Das berichtet die UN-Migrationsorganisation IOM.
Italien weigert sich zu zahlen
Die türkischen Forderungen nach finanzieller Solidarität der EU-Staaten konnten bisher nicht erfüllt werden. Am Freitag tagten erneut die EU-Finanzminister, um die vorgesehenen drei Milliarden Euro aufzubringen, die für die Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei bereitgestellt werden sollen. Italien weigerte sich erneut, einen Teil der Kosten aus dem nationalen Budget zuzuschießen. Konkret geht es darum, dass von den drei Milliarden nach letztem Stand eine Milliarde aus dem EU-Haushalt und der Rest von den 28 Mitgliedstaaten bezahlt werden soll. Die Regierung in Rom besteht darauf, dass der gesamte Betrag aus dem Gemeinschaftshaushalt kommen muss. Der niederländische Finanzminister und EU-Ratsvorsitzende, Jeroen Dijsselbloem, erinnerte an den Beschluss des jüngsten EU-Gipfels, bei dem die Hilfe für die Türkei von allen Staats- und Regierungschefs befürwortet wurde. „Wir brauchen diese Türkei-Fazilität. Sehr schnell und sehr dringlich.“
In Brüssel wurde darauf hingewiesen, dass die Mittel notwendig seien, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Denn in der Türkei verschlechtere sich die Lage der syrischen Migranten zunehmend. Weil die Versorgung einbricht, die medizinische Betreuung kaum noch aufrechtzuerhalten ist und die geflohenen Kinder kaum Chance auf Zugang zu Bildung hätten, gebe es für viele keine andere Alternative als in Boote Richtung Griechenland zu steigen. Ob die drei Milliarden Euro ausreichen, um das Problem zu lösen, wird angezweifelt. Deutschlands Finanzminister, Wolfgang Schäuble, rechnet damit, dass weitere finanzielle Hilfe notwendig wird. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)