Für Freizeitsportler: Die Streif in zig Minuten

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THEMENBILD: HAHNENKAMM-RENNSTRECKEAPA/SIMON HAUSBERGER
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Auf der spektakulären Hahnenkamm-Strecke muss der Freizeitsportler alles anwenden, was er skitechnisch gelernt hat. Im moderaten Stop-and-go von der Mausefalle bis zum Zielschuss.

Nach der berühmtesten aller Weltcupabfahrten wird die Streif-Rennstrecke langsam wieder zu dem, was sie vorher war: eine „extreme Skiroute“, die laut Tafel „nicht kontrolliert, fallweise vereist“ ist. Das heißt: An ihren neuralgischen Stellen liegt dann der Schnee mehr oder weniger hoch, verspurt, ruppig mit lockereren und harscheren Schichten. So ein Material sollte man skitechnisch bändigen können.

Die moderateren Teile der Rennstrecke hingegen sind fast deckungsgleich mit der sogenannten Parallelstreif, die an die extremen Stellen heranführt und von der aus man das Rennen auch beobachten könnte. Zudem gibt es punktuelle Überschneidungen mit der Familienabfahrt, einer roten Piste, die die brisanten Stellen umgeht. Für diese präparierten Abschnitte braucht der Skifahrer keine sonderlichen Fähigkeiten, außer vielleicht erhöhte Aufmerksamkeit am Nachmittag: Die Streif ist nämlich der direkteste Rückweg vom weitläufigen Kitzbüheler Skigebiet in die Gamsstadt.

So ist die beste Zeit, um mit der Streif auf Tuchfühlung zu gehen, der Vormittag, da liegt sie schön in der Sonne, und man hat weniger Zeugen, sollte man sich nicht so vorbildlich anstellen. Startklar steht man dann oben an der Kante und kann nicht glauben, dass diese sanften Kitzbüheler Grasberge derart steile Hänge haben. Der erste Eindruck oben beim Starthäuschen entspricht den mündlichen Überlieferungen von Sailer bis Maier, Klammer bis Cuche. Weniger den Bildern, denn keine Kamerafahrt eines Vorläufers kann diese Art von Gefälle ganz wiedergeben. Sollte man nicht besser doch umdrehen?

Schwung statt Sprung. Startschuss, die Fahrer stürzen sich hinab, als läge vor ihnen keine Rennstrecke, sondern das Nichts – die Mausefalle. Diese erste Schlüsselstelle der Hahnenkamm-Abfahrt überwinden Athleten wie Reichelt oder Jansrud mit einem Sprung von 50 bis 80 Metern, was im TV vermutlich souveräner aussieht, als es erlebt wird. Die Geschwindigkeit nähert sich 120 km/h. Der Körper verharrt in Abfahrtshocke.

Der Laie hingegen ringt bereits beim ersten Schwung mit seiner Haltung: unentspannt. Ski und Stecken krallen sich im Schnee fest. Man glaubt, das Eis durch den Schnee, den Skibelag, die Skischuhe und die Fußsohlen hindurch bis zum Herz herauf zu spüren. Während des Rennwochenendes wird auf der Strecke quasi Rutschbelag verlegt: Mit Sprühbalken wird der Untergrund „gewassert“, damit bleibt selbst der mit 85 Prozent steilste Abhang kompakt.

Zeit, sich der in diversen Skikursen erlernten Methoden zu entsinnen, wie man einigermaßen schmerzbefreit steiles Terrain bewältigt: Der Vorsichtige begegnet ihm mit Demut, hochkonzentriert, bremsbereit und dennoch locker, versucht, die Kurvenradien sauber auszufahren. Furchtlos nach unten zu blicken, anstatt die Furcht mit vielen Hangquerungen zeitlich zu verlängern. Und die Beschleunigung zu drosseln, indem man sie in gleichmäßige Schwünge zerlegt. Eine breitbeinigere Haltung und ein Schwerpunkt über den Knien wirken sich in dem Fall nicht nachteilig aus. Die Arme rudern besser nicht herum, sondern bleiben vorn, immer. Geschmeidig agieren Oberkörper, Hüfte, Beine, koordiniert, parallel. Und je mehr Kante auf der Oberfläche aufliegt, aber nicht in ebendiese hineinfräst, desto besser. Vorausgesetzt, man hat sie vor der Saison einmal schleifen lassen.

Rasten statt rasen. Mit der Mausefalle ist das Steilste, nicht das Schlimmste erledigt. Unten geht sie in die Kompression über, in eine S-Kurven-Kombination, in der die Fliehkraft den Fahrer daran hindern möchte, in den Steilhang (Gefälle 62 Prozent) einzufahren. Das ist vielleicht die größte Challenge.

Dann folgt eine kurze Entlastung in Form von Flachstücken. Auf dem Brückenschuss und dem Gschöss setzen sich die guten Gleiter durch und ab. Und das sind auch die Streif-Abschnitte, auf denen es unsereins wagt, halbwegs in die Abfahrtshocke zu gehen. Zum Vergleich: Ein Weltcupfahrer hat hier 90 km/h auf dem Tacho.

Auf einer Skala der riskanten Stellen läge die nächste Etappe im mittleren Bereich: die Schrägfahrt über die Alte Schneise mit 45 Prozent Gefälle. Man kurvt und rutscht und versteht, warum es hier so unruhig ist, die Ski so flattern: Der rasche Wechsel von Licht und Schatten wirkt irritierend, auch bremsbeschleunigend.

Endlich: Nach ein paar Minuten Stop-and-go (die Rennzeitmessung läge bei 01:03:20) tauchen Zeichen von Flachland auf. Dann das Dach der Seidlalm, der Hütte, in der Hansi Hinterseer aufgewachsen ist. Idealerweise nutzt man hier die Gelegenheit, die Fahrt ohne Gesichtsverlust zu unterbrechen, eine Jause einzuschneiden und sich mental auf die zweite Hälfte vorzubereiten.

Lange war der Sprung bei der Seidlalm gefürchtet, in den 1990ern hat man ihn entschärft. Hier beschleunigen die Spitzenfahrer in den Lärchenschuss auf 100 Sachen. Auch auf diesem Gleitstück werden Rennen gewonnen und verloren. Wir meinen: Schon Hinunterkommen ist alles.

Nur noch wenige Meter trennen den Profisportler jetzt vom Hausberg und seiner berüchtigten Kante, der vielleicht allerspektakulärsten Stelle der ganzen Abfahrt. Drunten toben ihm die Fans im Zielraum entgehen, Tribünen voller Prominenter flimmern über die Displays, er erfasst schon, ob er auf dem Stockerl steht.

Noch einmal muss er Gas geben, mit 140 km/h in den Zielschuss, die Buckel und Wellen mit letzter Kraft durchdrücken. Für Sonntagsfahrer gibt's da oben nichts mehr zu riskieren und nichts mehr, sich zu beweisen. Nur mit der Ruhe den ruppigen Hang hinunter. Ist zum Glück auch keiner da unten, der zuschaut, wenn er nach zig Minuten Streif die Ski abschnallt und die Muskeln leise nachzittern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2016)

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