Mehrere osteuropäische Länder wollen die Balkanroute an der griechisch-mazedonischen Grenze abriegeln, auch Außenminister Kurz favorisiert diese Option. Athen will bis Mittwoch vier Hotspots in Betrieb nehmen.
Wien/Athen/Prag/Brüssel. Exakt sechs Wochen zählte das neue Jahr, als am Wochenende der 76.607. Migrant auf einer griechischen Insel in der Ostägäis strandete. 2015 kamen im Jänner und Februar insgesamt 4500 Menschen dort an – die Zahl der Ankommenden ist also um mehr als das 17-Fache gestiegen. Dass Griechenland den Schutz der EU-Außengrenze seit geraumer Zeit nicht mehr im Griff hat, ist letztlich auch eine Folge der Größe dieser Fluchtwelle.
Am vergangenen Freitag beschlossen die Mitgliedstaaten deshalb am Rande des EU-Finanzministerrates in Brüssel eine dreimonatige Frist für das Mittelmeerland, die Kontrollen doch noch zu verbessern. Bis dahin muss die Regierung in Athen einen schlüssigen Aktionsplan zur Verbesserung der Situation vorlegen.
Gelingt dies nicht, kann die Kommission eine Verlängerung der – vielfach bereits bestehenden – Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums auf bis zu zwei Jahre empfehlen. „Eine hinreichende Identifizierung, Registrierung und Aufnahme ist unabdingbar“, heißt es in dem Beschluss. Doch für die Regierung in Athen dürfte es schon viel früher ernst werden: So fordern bekanntlich mehrere EU-Mitgliedstaaten, dass Mazedonien seine Grenze für aus Griechenland kommende Flüchtlinge, die über die Balkanroute nach Norden weiterreisen wollen, komplett abschottet – in der Hoffnung, durch ein solches Signal würden sich langfristig weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen. Ob das Kalkül aufgeht, ist ungewiss. Griechenland aber wäre damit de facto aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen.
„Den Zustrom stoppen“
Auch Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz (ÖVP), favorisiert diese Option. Er bot Skopje bei einer Balkanreise vergangene Woche Polizisten und Technik zur Unterstützung an. „Mazedonien muss als erstes Land nach Griechenland bereit sein, den Zustrom zu stoppen“, forderte Kurz in einem Interview mit der „Welt“.
Slowenien und Kroatien stellen dem Land schon länger Polizisten zur Seite. Auch die Visegrád-Länder Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen wollen Mazedonien dabei helfen, die Balkanroute für Flüchtlinge abzuriegeln. „Solange eine gemeinsame Strategie fehlt, ist es legitim, dass die betroffenen Staaten ihre Grenzen schützen“, sagte der slowakische Außenminister, Miroslav Lajčák, vor dem Treffen der vier Länder in Prag am gestrigen Montag (siehe Artikel oben) gegenüber dem „Spiegel“.
Vor dem wichtigen EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag dieser Woche erhöhen die Osteuropäer damit den Druck auf Athen: Einer langfristigen Lösung, wie sie die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, unter Einbindung der Türkei und fester Flüchtlingskontingente vorsieht, wollen sie hingegen keine Chance geben. Doch Skopje erhält auch von der Kommission selbst Unterstützung. Am gestrigen Montag sagte die Brüsseler Behörde Hilfen in Höhe von zehn Millionen Euro für das Balkanland zu. Das Geld solle der Verbesserung des Grenzschutzes und der Registrierung von Migranten dienen – nicht zum Bau eines Zaunes beitragen, konkretisierte eine Sprecherin.
Athen drückt aufs Tempo
Athen selbst drückt nun auch aufs Tempo, um die Forderungen der EU-Partner umzusetzen – und der täglich 2000 Neuankömmlinge Herr zu werden: Noch Sonntagabend wurde der zweite Hotspot (Registrierzentrum) auf Chios fertiggestellt. Bis Mittwoch – also vor dem Ratstreffen in Brüssel – sollen insgesamt vier von fünf geplanten Hotspots in Betrieb genommen werden. Lediglich auf Kos formieren sich Proteste gegen das Vorhaben. (aga/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2016)