Ein Freistaat und sein Problem mit der Fremdenfeindlichkeit

160207 DRESDEN Feb 7 2016 Supporters of the anti Islam movement PEGIDA leave after a rall
160207 DRESDEN Feb 7 2016 Supporters of the anti Islam movement PEGIDA leave after a rallimago/Xinhua
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Ein Bus mit Flüchtlingen wird mit unfreundlichen Parolen empfangen, Schaulustige jubeln beim Brand eines geplanten Flüchtlingsheims – aber nicht erst die jüngsten Vorfälle haben Sachsen ins Zwielicht gerückt.

Luai Khatun steht oft am Fenster. Zu sehen gibt es schneebedeckte Wiesen, ein paar mehrstöckige Häuser, ab und zu geht jemand vorbei. Gerade sind es zwei Bewohner der Siedlung, die dem 15-Jährigen winken. Er winkt zurück mit versteinertem Gesicht. Vor einer Woche ist er hierhergebracht worden. Und die Erinnerung daran ist nicht schön. Ein Polizist hat ihn aus dem Bus gezerrt, der ihn und 19 andere Flüchtlinge nach Clausnitz gebracht hat. Unter dem Gejohle von rund 100 Menschen, die sich davor versammelt hatten, um ihm den Weg in die neue Flüchtlingsunterkunft zu versperren.

Was in dieser Nacht in dem 870-Einwohner-Ort im südlichen Sachsen passiert ist, ist per YouTube um die Welt gegangen, die verwackelten Bilder eines Handyvideos waren internationalen TV-Sendern wichtig genug, um sie in den Nachrichten zu bringen. „Wir sind das Volk“, skandieren die Demonstranten. Im Bus wissen 20 Flüchtlinge über Stunden nicht, wie ihnen gerade geschieht.

Es ist nicht der erste Vorfall, bei dem Flüchtlinge in Deutschland bedroht werden. Aber durch das Video, das sich im Internet rasend schnell verbreitete, ist auch ein Blick auf die Menschen möglich. Luai zeigt das Video, auf dem sein Bruder Ramzi zu sehen ist, wie er weinend aus dem Bus gebracht wird. „Und das bin ich“, sagt er und zeigt, wie ihn der Polizist packt.

„Es gefällt mir hier nicht“, meint er. Auf Deutsch, so wie er es in den vergangenen drei Monaten in Dresden gelernt hat. Dort ist er mit seiner Familie gelandet, nach einer langen Reise vom Libanon über die Türkei und die Balkanroute. Nach Dresden will er auch wieder zurück. Hier in Clausnitz gibt es nicht viel, außer Schnee und warten.

„Es war, sage ich mal, stiller Protest“, erzählt Michael Funke über die Ereignisse vom 18. Februar. Nur irgendwann, meint der Bürgermeister der Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle, zu der Clausnitz gehört, hätten eben ein paar Leute provoziert. Ganz ähnlich sehen das die beiden Bewohner, die vorher Luai gewinkt haben. Natürlich sei man neugierig gewesen, wer da ankommt, erzählt einer. Darum habe man sich versammelt. Und die Slogans, die johlende Menge? Das seien ein paar Dummköpfe gewesen. Mit Rechtsextremismus habe man nichts zu tun. „Sie werden niemanden finden, der durch die Straßen rennt und ,Sieg Heil‘ schreit“, hat auch zuvor ein Mitarbeiter im Rathaus von Rechenberg-Bienenmühle gesagt.

Hätte man das denn erwartet? Ist ein Verhalten erst dann fremdenfeindlich, wenn es jemand in NS-Uniform macht? So einfach ist das nicht, meint Eckart Riechmann. Der Sprecher der Initiative „Bautzen bleibt bunt“, die sich für Flüchtlinge einsetzt, hat in den letzten Tagen schon viel zum Thema gesprochen. Seit vergangenen Sonntag in einem geplanten Flüchtlingsheim vermutlich nach Brandstiftung ein Feuer ausgebrochen ist und einige Schaulustige deshalb applaudiert haben, steht auch Bautzen, rund 60 Kilometer westlich von Dresden, unter medialer Beobachtung.

Ja, es gebe ein Problem mit rechtsextremen Gruppierungen. So wie in ganz Sachsen sind sie in Kameradschaften organisiert. Aber sie trieben sich eher in Dorfkneipen außerhalb der Stadt herum. In Bautzen selbst sei von rechtsextremen Umtrieben nichts zu bemerken. Aber natürlich, auch hier gebe es Menschen, die Flüchtlinge skeptisch sehen. Vor allem Alte organisieren sich in Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsheime. Weil die Jungen, die mit Veränderung vielleicht besser umgehen könnten, abgewandert sind, in Städte, die mehr Chancen bieten.


Der Brand stellt alles infrage. Und dennoch, in der Stadt Bautzen gibt es fünf Einrichtungen für rund 800 Flüchtlinge. Der Husarenhof, der in Brand gesetzt wurde, wäre die sechste gewesen. Bedenken gegen die Heime habe es anfangs natürlich gegeben, „auch Hasspropaganda, weil das erste Flüchtlingsquartier ein ehemaliges Vier-Sterne-Hotel war“. Aber am Ende habe man durch Information und Einbeziehen der Bevölkerung alles gelöst. Der Brand, meint Riechmann, „hat ein Stück Hoffnung genommen, dass alles sachlich gelöst werden kann. Das ist ein Fanal, das alles infrage stellt.“

Sachsen liegt bei der Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime weit vorn – in absoluten Zahlen zwar hinter dem bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, mit Blick auf die Bevölkerung aber an der Spitze. Sogar Ministerpräsident Stanislaw Tillich räumte am Freitag ein, dass „Sachsen ein Problem mit Rechtsextremismus hat“, das größer sei, als „der ein oder andere bisher wahrhaben wollte“. Inklusive er selbst, der Kritik wenige Tage zuvor noch abgeschmettert hatte.

Doch zunehmend leidet der Freistaat unter dem angeschlagenen Image. Sein Rezept: Mit einem „starken Staat“ will er „präventiv und repressiv“ vorgehen und damit die „wehrhafte Demokratie“ verstärken.

Ein Bekenntnis, das den jüngsten Ereignissen geschuldet ist? „Rechtsextremismus wurde schon wahrgenommen, Verfassungsschutz und Polizei haben sich damit beschäftigt“, sagt Oliver Decker. „Aber es gab die Tendenz, darüber ein Tuch des Stillschweigens zu legen.“ Der Vorstand des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig sieht eine Ursache für das Erstarken des Rechtsextremismus in Sachsen darin, dass nie der Fokus auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft gelegt worden sei. „In vielen ostdeutschen Bundesländern wurden die Strukturen gefördert, in Sachsen sind die, die sich engagieren, unter Linksextremismusverdacht gestellt worden.“

Auf dieser Basis konnten fremdenfeindliche Ideen gut gedeihen. Und damit auch Bewegungen wie Pegida ohne großen Widerstand Montag für Montag einige Tausend Menschen in Dresden zu Demonstrationen versammeln. Pegida, ein Phänomen, das Sachsen im Allgemeinen und Dresden im Speziellen einigen Ärger bereitet. Es wird erzählt, dass Unternehmen keine Geschäftstermine mehr an Montagen ansetzen, damit niemand von auswärts mit der Demo konfrontiert wird. Und auch der Tourismus leidet.

Ja, man wünschte sich, dass die wöchentlichen Demos im historischen Stadtzentrum verschwinden, sagt Johannes Lohmeyer. Wobei, meint der Vorsitzende des Tourismusverbandes Dresden, nicht nur Pegida für den Rückgang bei den Nächtigungszahlen verantwortlich sei. Wegen des schlechten Rubelkurses blieben Russen aus, das Stadtmarketing sei „chronisch unterfinanziert“, und seit vergangenem Juli erhebe die Stadt auch noch eine „unverschämt hohe“ Bettensteuer.


»Brauner Schandfleck«. Wobei der Zustrom aus dem Ausland insgesamt dennoch positiv sei. Nur bei deutschen Gästen gebe es ein heftiges Minus. Was, so glaubt Lohmeyer, auch daran liege, „was deutsche Medien aus Pegida machen“. Und er spricht von einem Titelblatt der „Hamburger Morgenpost“, auf dem Sachsen auf einer Deutschlandkarte als „brauner Schandfleck“ eingefärbt war. Davon sei man weit entfernt. Und er sagt, was in Sachsen derzeit sehr häufig zu hören ist: „Es ist nicht so, dass man auf Schritt und Tritt über irgendwelche Nazis stolpert.“

Lexikon

Sachsen. Der Freistaat im Osten Deutschlands hat eine Fläche von 18.420 km2 und rund 4,06 Mio. Einwohner. Die Landeshauptstadt ist Dresden, die Stadt mit den meisten Einwohnern ist Leipzig. Die Verwendung des Begriffs Freistaat bezieht sich nicht auf eine Sonderstellung gegenüber anderen Bundesländern, sondern ist historisch bedingt.

Extremismus. In den vergangenen Wochen ist Sachsen wegen einiger Vorfälle in die Kritik geraten, namentlich etwa durch den Brand eines geplanten Flüchtlingsheims in Bautzen und den unfreundlichen Empfang eines Busses mit Flüchtlingen im Ort Clausnitz. Schon zuvor galt Sachsen als gutes Pflaster für Rechtsextremismus. Die bundesweit agierende NPD hat Sachsen als eines ihrer wichtigsten Aufmarschgebiete definiert. Auch die Pegida entstand hier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2016)

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