Sachsen: "Man hat wenig Erfahrung mit Fremden"

Frank Richter
Frank RichterDetlef Ulbrich/www.duks33.de
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Dass Sachsen Probleme mit Extremismus hat, liege an einer Art Chauvinismus, aber auch an Erfahrungen aus der DDR und ihrem Ende, sagt Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Ist um die Vorfälle in Bautzen und Clausnitz ein Hype entstanden, oder hat Sachsen wirklich ein besonderes Problem mit Ausländerfeindlichkeit?

Frank Richter: Sachsen verzeichnet seit vielen Jahren eine hohe rechtsextremistische Belastungsquote. Einige Indikatoren: Die Wahlergebnisse der NPD und das Netz der freien Kameradschaften, die sich besonders durch eine hohe Gewaltbereitschaft auszeichnen. In Sachsen gibt es eine vergleichsweise starke rechte Musik- und Konzertszene, die man als Einstiegsdroge ins extremistische Gedankengut bezeichnen kann.

Aber warum ist das gerade in Sachsen ein so großes Phänomen?

Die angesprochenen Probleme gibt es mitnichten nur in Sachsen. Sachsen zeichnet sich aus durch eine bestimmte Form des – unter Anführungszeichen – Chauvinismus. Es ist das „Bayern des Ostens“. Bei der Friedlichen Revolution 1989 haben die Sachsen „ihr Sachsen“ schneller als politischen Referenzrahmen wiederentdeckt als Deutschland. Die Stadt Dresden spielt samt Umland eine Sonderrolle, schon wegen der relativen geografischen Abgeschlossenheit. Böse Zungen sagen, dass das „Tal der Ahnungslosen“ nachwirkt – zu DDR-Zeiten nannte man so Gebiete, in denen aus technischen Gründen das westliche Fernsehen nicht empfangen werden konnte.

Inwieweit ist die Fremdenfeindlichkeit ein Phänomen in der Mitte der Gesellschaft?

Ressentiments gegenüber Fremden sind in großen Teilen der Gesellschaft anschlussfähig. Die sächsische Bevölkerung zeichnet sich nach wie vor aus durch große Homogenität. Man hat wenig Erfahrung mit Fremden. Man ist stolz auf das Eigene. Wo Schatten ist, ist auch Licht.

Kommt das noch aus DDR-Zeiten?

Das hat auch mit der DDR zu tun. Erfahrungen mit Ausländern aus anderen Kulturen waren selten. Es gab viele Vietnamesen, aber sie waren nie sehr präsent im gesellschaftlichen Bild. Nach 1990 erfuhr die Bevölkerung in Ostdeutschland eine tief greifende gesellschaftliche Transformation, die zu Erschöpfungserscheinungen geführt hat. Für viele blieb beruflich, gesellschaftlich, politisch und kulturell kein Stein auf dem anderen.

War die Wende für viele Ostdeutsche also eher eine Wende zum Negativen?

Es war eine Wende zum Positiven, allein was Freiheit und Wohlstand anging. Aber diese musste teuer erkauft werden mit einer tief greifenden Neuorientierung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens. 80 Prozent der Funktionseliten in Wirtschaft, Verwaltung, Kultur, den Medien und zum Teil auch der Politik sind Menschen, die aus dem Westen hergezogen sind. Das hat zu einem Gefühl von Überfremdung geführt. Das sagt mitnichten etwas aus gegen diese Menschen und ihre Lebensleistung. Das Phänomen der Ausländerfeindlichkeit ist vor allem im ländlichen Raum gegeben, in den Randlagen, die ein enormes Problem mit der Demografie haben. Gerade dort gibt es Überalterung, Verödung von Landstrichen und Männlichkeitsdominanz.

Warum gibt es dort so viele Männer?

Der Wegzug ist tendenziell mehrheitlich weiblich. Junge Frauen sind flexibler und mobiler, haben bessere Schulabschlüsse. Oft bleiben junge Männer zurück. Manches Dorf in der Randlage Sachsens funktioniert – unter Anführungszeichen – wie eine Männer-WG.

Und ihnen fehlt so etwas wie eine Orientierung, die die extreme Rechte ihnen gibt?

1990 ist nicht nur ein Staat, es ist mit dem Marxismus auch eine Weltanschauung untergegangen. Diese war zwar als funktionsuntüchtig erkannt, aber es war eine Weltanschauung. In den Leerraum stößt der Nationalismus.

Wie groß ist der harte Kern, der auch extremistische Aktionen setzt, und wie viele sind nur Mitläufer?

Wir müssen uns vor einem Kurzschluss hüten: Dass diejenigen, die bei Pegida mitlaufen, anschließend Asylbewerberheime anzünden. Natürlich vergiften die Reden bei Pegida das Klima im Land. Aber nicht jeder, der sie anhört, wird automatisch zum Gewalttäter. Wir können vermuten, dass manches, was wir an Gewalttätigkeiten beklagen, von Gruppen ausgeht, die ohnehin schon sehr gewaltbereit sind, etwa von den Hooligans rund um Fußballvereine.

Ein Vorwurf ist, dass im Osten die Zivilgesellschaft nicht so ausgeprägt sei wie anderswo. Ist da etwas dran?

Auf jeden Fall. In der DDR gab es wenig Freiräume für die Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft. Nach 1990 sind viele junge Leute zum Arbeiten oder Studieren weggezogen, die Älteren sind zurückgeblieben. Und die Jüngeren, die geblieben sind, gehören nicht unbedingt zu den gesellschaftlichen Aktivposten.

Was kann Sachsen tun, um mit dem Rechtsextremismus fertigzuwerden?
Aus der politischen Bildungsarbeit habe ich die Erfahrung, dass dort, wo die Kommunalpolitik die Themen, die Pegida ausnutzt, aktiv aufnimmt, wo die demokratische Politik offensiv diskutiert, wo sich Politiker der Debatte stellen, die Rechtsextremisten wenig Chancen haben. Sie stoßen nur in die Freiräume, die die Demokraten ihnen lassen.

Zur Person

Frank Richter (geb. 1960) ist seit 2009 Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mit Sitz in Dresden. Bei der friedlichen Revolution 1989 gehörte der studierte Theologe zur Gruppe der 20, der ersten oppositionellen Gruppierung, die die Staatsmacht offiziell als Gesprächspartner akzeptierte.

www.slpb.de

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