Amanshausers Welt: 434 Kasachstan

Privilegienritter. Ich wusste nicht einmal, welche  Vögel das waren.
Privilegienritter. Ich wusste nicht einmal, welche Vögel das waren.(c) Beigestellt
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Kleine Geschichten über große Locations.

I ch bin oft an Grenzen. Mein Beruf hat es erzwungen. Ich komme in Länder und spaziere aus ihnen, lasse mir von uniformierten Walrössern und Gouvernanten Stempel in den Pass hämmern und beantworte ihre Fragen mit leicht belegter Stimme. Eine davon – meist lautet sie ungefähr: „Was verdammt wollen Sie eigentlich in unserem Land, und wann genau schleichen Sie sich wieder?“ – beantworte ich immer mit „Tourism“ (unkorrekt) und dem Rückflugdatum (korrekt). Bei der Frage nach dem Beruf lüge ich: „Editor.“

Einige Grenzbeamte würden es nicht schätzen, wenn ich „Journalist“ oder „Autor“ schriebe. Bei „Editor“ fragt niemand nach. Notfalls bin ich Herausgeber eines Wiener Fanzines für Haikus, Auflage 1500, hohe Förderungen, kein Online. Das alles sind Luxusüberlegungen in einer Zeit, in der für Menschen mit deutlich dringlicheren Bedürfnissen, als ich sie je hatte, die für mich ganz einfach überquerbaren Grenzen geschlossen werden oder man ihnen Zäune extra vor die Nase baut.

Fliegend, frei atmend, auf dem Sitz 7A, mit dem Kopf an einer der Luken aus Polycarbonat lehnend, betrachte ich manchmal die Welt unter mir. Ein Blick genügt: Die Striche, die auf dem Atlas dort unten gezogen werden, sind in der Wirklichkeit völlig fiktional. Daran muss ich manchmal denken, wenn ich, als einer der Privilegierten dieser Welt, mein vornehmes „Editor“ auf dem Einreiseabschnitt notiere, die sanfte Lüge, die mich ungehindert in die meisten Länder einreisen lässt. Bin ich durch, überkommt mich ein leises Triumphgefühl, und ich sage leise zu mir: „Na schau. Geht doch.“

Die schwierigste Grenze meines Leben überquerte ich in Kasachstan. Wir waren mit einem Bus unterwegs, der von Freiburg nach Peking fuhr. Die Kontrolle dauerte länger als ein Schultag. Die eigentliche Grenze wurde in Eselskarren oder zu Fuß überquert, die Beamten ließen uns in der Hitze darben, mehrmals mussten Bestechungsgelder fließen. Der Tourleader wickelte diese unerfreulichen Tätigkeiten souverän ab. Ich saß währenddessen, optimistisch wie alle Privilegienritter, bewegungslos im Warteraum der Grenzstation und beobachtete die Vorgänge rund um ein Vogelnest, das eine mir unbekannte Spezies dort in einer Wandnische aufgebaut hatte und nun unermüdlich befütterte. So rau die Kasachstaner Grenzer uns auch entgegentraten, dieses Vogelnest entfernten sie offensichtlich nicht. Ich hielt das für ein gutes Zeichen.

Ort

Lockerer Grenzübertritt. Der Autor war eingeladen von Avanti Busreisen, www.avantireisen.de; die Grenzstation befand sich nördlich von Taschkent, zwischen Usbekistan und Kasachstan.

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