Joe Hart ist der sichere Rückhalt von Manchester City, er rettete das 0:0 gegen Real Madrid. In dieser Form wird der 29-Jährige auch zu Englands Hoffnung bei der EM in Frankreich.
Manchester/Wien. Manchester City lebt in erster Linie von der Vielzahl an Legionären, im Semifinalhinspiel der Champions League gegen Real Madrid avancierte jedoch ein waschechter Engländer zum heimlichen Sieger. Torhüter Joe Hart war es, der gegen die Ballkünstler aus Madrid das 0:0 festgehalten hat. Wer die europäische Eliteliga gewinnen will, braucht auch zwingend einen Torhüter, der über sich hinauswachsen kann.
Der Goalie, 29, wehrte gegen Real insgesamt drei Torschüsse ab, darunter waren auch zwei grandiose Glanzparaden in der Schlussphase. Er wirkt zwar schlaksig, ist 1,96 Meter und für Englands Boulevardblätter „groß wie ein Baum“, aber wahnsinnig reaktionsschnell. Und nun lässt der Keeper die Three Lions bereits von der Euro in Frankreich träumen. Er soll in Gruppe B gegen Russland, Wales und Slowakei mit seinen Paraden den Aufstieg garantieren.
Aber England und seine Torhüter, da hat man an sich keine guten Erinnerungen. Da denkt der Fußballfan schnell eher an Pleiten, Pech und Pannen. So gesehen ist Hart eine wahrlich untypische englische Nummer eins.
Manche Patzer bzw. Fehlgriffe englischer Torhüter sind sogar schon legendär, man erinnere sich nur an die WM 2002 in Südkorea und Japan. Im Viertelfinale gegen Brasilien trat Ronaldinho aus 35 Metern zum Freistoß an. David Seaman, der zu weit vor seinem Tor stand, ließ sich davon überraschen. England verlor deshalb mit 1:2 – und musste abreisen.
Zwei Jahre später profitiert auch Österreich von einem englischen Torwartfehler. Beim WM-Qualifikationsspiel in Wien gelang Andreas Ivanschitz der 2:2-Ausgleich, weil Torwart David James den Weitschuss des Burgenländers unter seinem Körper durchrutschen lässt. „Shit happens“ titelte damals Englands Presse.
2006 stand in der EM-Qualifikation Paul Robinson im Tor. Im Spiel gegen Kroatien trat er in der 69. Minute bei einem vollkommen harmlosen Rückpass von Gary Neville neben den Ball, der daraufhin ins Netz kullerte. England verlor 0:2 und verpasste am Ende sogar die EM-Qualifikation. Denn auch das Rückspiel gegen Kroatien im November 2007 ging verloren – wegen eines kapitalen Fehlers des Torhüters. Niko Kranjcar zog aus über 30 Metern ab, Scott Carson rutschte der eigentlich ungefährliche Schuss durch die Hände – 1:0 für Kroatien, England verlor mit 2:3.
Drei Monate zuvor hatte sich Paul Robinson im Duell gegen Deutschland fürchterlich blamiert. Er schlug eine Hereingabe von Kevin Kuranyi (kunstvoll) ins eigene Netz. Der Treffer bedeutet den Ausgleich, England verlor am Ende 1:2 – es war die erste Niederlage im neuen Wembley-Stadion, für Englands Presse eine „Nacht des Horrors“. 2010 setzte Teamchef Fabio Capello bei der WM in Südafrika auf Torhüter Robert Green. Prompt leistete sich der Torhüter von West Ham einen folgenschweren Fehler, der England den Auftaktsieg gegen die USA kostete.
Torhüter werden oft gegeißelt, aber selbst Weltstars wie Oliver Kahn (WM-Finale 2002) bleiben nicht fehlerfrei. Doch für England, seit 1966 ohne Titel, bleibt das vorerst ein schwacher Trost.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2016)