Die Virenschleuder auf den Balearen

Die Ferienhochburg Mallorca gilt als Umschlagplatz des H1N1-Virus. Immer mehr Touristen kommen krank nach Hause – wenn sie die Fluglinien überhaupt mitnehmen. Behörden arbeiten an Notfallplänen.

Palma de Mallorca/Madrid. Wer auf dem Flughafe in Palma de Mallorca viel hustet, macht sich verdächtig. Die Stewardessen achten schon beim Einchecken auf Grippesymptome. Auf Mallorca erkrankte Urlauber sollten, wenn möglich, nicht ins Flugzeug steigen und in die Heimat fliegen. Fällt ein Passagier während des Fluges durch Fieber und Hustenanfälle auf, verständigt der Pilot den Zielflughafen, wo dann ein Ärzteteam wartet.

Nachdem sich die Ferienhochburgen auf Mallorca zu einem Umschlagplatz des H1N1-Virus zu entwickeln scheinen, wird auf der spanischen Ferieninsel an Notfallplänen gearbeitet, um eine Infektionswelle in den nächsten Monaten in den Griff zu bekommen und wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. „Wir müssen Alarmstimmung vermeiden“, sagt Francesc Antich, Ministerpräsident der Balearischen Inseln, zu denen Mallorca gehört. Er sorgt sich, dass die Neue Grippe das lahmende Urlaubsgeschäft weiter schädigen könnte.

Die balearischen Gesundheitsbehörden registrierten bisher 58 „offizielle“ Fälle, darunter einen tödlichen. Inoffiziell ist es ein Vielfaches davon. Eine Lokalzeitung spricht von „vielen tausenden“ Insulanern, die die neue Grippe haben oder hatten „und nicht zum Arzt gingen“. Das H1N1-Virus zirkuliere „in Bars, Restaurants, auf der Straße und an Stränden“.

Wahrscheinlich eine wirklichkeitsnahe Einschätzung angesichts von inzwischen hunderten infizierten Urlaubern, die vom Mallorca-Urlaub mit der Grippe im Gepäck zurückkehrten. Besonders viele Deutsche brachten aus ihrem liebsten Urlaubsland die neue Grippe als Souvenir mit.

Eigene Sangria-Strohhalme

In manchen Diskotheken und Bars auf Mallorca servieren die Kellner inzwischen mit Handschuhen die Getränke. Touristen bringen zum Sangria-Trinken eigene Strohhalme mit. Einige Polizisten rücken mit Schutzmasken zu Einsätzen in Vergnügungsviertel aus, in denen das Ansteckungsrisiko wegen der großen Menschenansammlungen nach Meinung der Ärzte steige. Größere Unruhe sei freilich unter den Urlaubern nicht festzustellen, berichtet die Reisebranche, größere Vorsicht in Sachen Hygiene schon.

Vor genau drei Monaten landete die Neue Grippe erstmals in Europa, und zwar in Spanien. Ein spanischer Student hatte sich in Mexiko angesteckt. Inzwischen wurde aus der Epidemie eine Pandemie.

Die zuletzt für Spanien bekannt gewordene offizielle Infektionszahl lag bei 1538 Fällen, die meisten mit „leichtem Verlauf“ – auch hier wird von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgegangen. Künftig will Spanien nur noch über schwierige Krankheitsverläufe und Todesfälle (bisher vier) informieren.

Bis zum Winter soll für 40 Prozent der 47 Mio. Spanier Impfstoff zur Verfügung stehen. Die großen Unternehmen des Landes entwickeln derweil diskret Grippenkrisenpläne und lagern Medikamente. Gesundheitsministerin Trinidad Jiménez rechnet im kommenden Winter mit wenigstens 8000 Toten durch die Neue Grippe – diese Todesrate entspricht in Spanien der ganz normalen Grippe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2009)

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