DEUTSCHLAND. Die Neue Grippe forderte hier noch keine Todesopfer. Ärzte sagen aber eine Explosion bei den Infektionen voraus.
BERLIN/PASSAU/WIEN.Worüber Virologen bereits im Frühsommer orakelt haben, wird nun, auf dem Höhepunkt der Urlaubssaison, Realität: Das neue Virus A/H1N1, das im Frühling von Mexiko aus seinen Weg in die Welt genommen hat, wird durch die grenzüberschreitenden Menschenströme des Massentourismus explosionsartig verbreitet.
Und das betrifft immer stärker unseren großen Nachbarn Deutschland: Hier wurden bis Montag nicht nur bereits rund 2900 Fälle registriert: Virologen erwarten jetzt erst recht eine dramatische Zunahme der Infektionen.
80 Prozent Urlauber
„Es ist der Beginn einer riesigen Welle“, sagte der bayerische Virologe Alexander Kekule am Wochenende. Auslöser seien bisher meist Urlauber gewesen – erst in der Vorwoche hatte Gesundheitsstaatssekretär Klaus Theo Schröder gesagt, dass sich 80 Prozent der Infizierten im Urlaub angesteckt hätten. „In den Ferienorten treffen Menschen aus aller Herren Länder zusammen. In Diskotheken oder Flugzeugkabinen, auf den Balearen oder anderswo herrschen ideale Bedingungen für die Ausbreitung des Erregers“, so Kekule.
Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland nahm in der Vorwoche richtig sprunghaft zu, als etwa 1000 neue Fälle, mithin ein Drittel der bisher bekannten, hinzukamen. Die Neue Grippe (auch: „Schweine-“ oder „Mexikogrippe“) lässt auch Prominente nicht aus: Am Wochenende wurde der deutsche Handballnationalteamspieler Dominik Klein (25) vom THW Kiel positiv auf das Virus getestet; er befindet sich in einem Trainingslager, Ansteckungsgefahr bestehe nicht, hieß es.
Deutschland ist damit in Europa derzeit in absoluten Zahlen das am zweitstärksten von der Seuche betroffene Land. In Großbritannien gibt es bisher mehr als 11.100 Fälle und zudem auch mindestens 30 Todesfälle.
Überschwappen auf Nachbarn?
In Deutschland ist zwar bislang noch niemand am neuen Virenstamm gestorben, doch macht Mediziner die Zahl der Infektionen im mit 82 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Land Mitteleuropas, das zudem dicht besiedelt ist, nervös: Die für Deutschland erwartete Infektionswelle könnte sich leicht auf Nachbarländer ausbreiten.
Der aktuelle Verlauf in Deutschland sei derzeit noch milde, so der Virologe Kekule. Zudem glaubt er nicht, dass es zu der von manchen Experten befürchteten Vereinigung des A/H1N1-Virus mit dem der Vogelgrippe und zur Entstehung eines „Killervirus“ komme.
Jörg Hacker, Chef des Robert-Koch-Instituts in Berlin, meinte, es gebe noch keinen Grund etwa zur Absage großer Massenveranstaltungen, da das Virus sich bisher meist nur als leichte Grippe geäußert habe. Allerdings wiesen er und andere Experten darauf hin, dass man erst abwarten müsse, ob bzw. wie das Virus im Herbst mutiere.
Sorge vor „Treffen der Viren“
Zudem werde sich zeigen, wie sich das Virus in Kombination mit für die Jahreszeit typischen Wellen von „normaler“ Grippe und schlichten grippalen Infekten, ausgelöst beispielsweise durch Rhinoviren, auswirken werde. Hacker meint, es sei möglich, dass das neue Grippevirus das der gewöhnlichen Wintergrippe heuer verdrängen könnte.
Die deutschen Bundesländer bestellten unterdessen 50 Millionen Dosen eines vom Pharmakonzern GlaxoSmithKline entwickelten Impfstoffs im Wert von 600 Millionen Euro; er soll Ende September bereitstehen und zunächst vor allem an Ärzte und medizinisches Personal verteilt werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2009)