Iraks Regierung hat in Falluja einen wichtigen Sieg erzielt. Um IS langfristig zu schlagen, muss sie aber das Vertrauen der Sunnitenstämme zurückgewinnen.
Der Gefechtslärm in Falluja war noch nicht verhallt, da feierte Iraks Regierung bereits einen großen Sieg. Nach wochenlangen Kämpfen konnte die grausame Herrschaft der Extremistenorganisation Islamischer Staat (IS) in der Stadt beendet werden. In einigen Vierteln lieferten sich versprengte IS-Gruppen aber nach wie vor Schießereien mit der irakischen Armee. Die Niederlage in Falluja ist tatsächlich ein schwerer Schlag für den IS. Er verliert damit ein strategisch wichtiges Gebiet westlich der irakischen Hauptstadt. Jetzt, da die Gegend um Bagdad gesichert ist, können sich Iraks Regierungstruppen auf den nächsten großen Schritt im Krieg gegen die Jihadisten konzentrieren: die Schlacht um die IS-Hochburg Mossul.
Noch am Wochenende rückten zwei irakische Divisionen in Richtung Mossul ab. Und Premier Haidar al-Abadi kündigte an, dass die nordirakische Metropole noch in diesem Jahr zurückerobert werde. Doch das wird nicht einfach werden.
Bereits der Einsatz in Falluja sorgte für Schwierigkeiten. Der IS war auf den Angriff gut vorbereitet gewesen, hatte Bunker und Tunnelsysteme angelegt. Sie dienten den Jihadisten nicht nur als Schutz vor Luftangriffen, sondern auch als Verbindungswege im Häuserkampf. Dadurch gelang es IS-Kämpfern immer wieder, plötzlich im Rücken der irakischen Soldaten aufzutauchen und ihnen schmerzhafte Verluste zuzufügen. Diese Probleme warten auch in Mossul – und zwar in noch gewaltigerem Ausmaß. Denn Mossul ist weitaus größer als Falluja und zählte – zumindest vor der IS-Machtübernahme – fast drei Millionen Einwohner. Erbitterte Gefechte um jedes Gebäude und jeden Straßenzug hätten hier verheerende Folgen, vor allem für die Zivilbevölkerung.
Irakische Regierungsvertreter haben das relativ langsame Vorrücken in Falluja auch damit erklärt, dass man die Einwohner der Stadt schonen wollte. Trotzdem liegen heute Teile Fallujas in Trümmern. Dasselbe Bild bietet sich in der Nachbarstadt Ramadi, die Ende 2015 zurückerobert worden ist. Auch Ramadi ist zuvor vom IS beherrscht worden. Die Schlachten um beide Städte haben Zehntausende Menschen in die Flucht getrieben. Und so wie schon bei Einnahme der IS-Hochburg Tikrit im März 2015 drangen verstörende Berichte von Menschenrechtsorganisationen an die Öffentlichkeit, dass regierungstreue irakische Kräfte Verbrechen an Zivilisten begangen hätten.
Die Führung in Bagdad muss alles daransetzen, dass Übergriffe gegen die Bevölkerung von Falluja verhindert werden. Und sie muss dafür sorgen, dass die Flüchtlinge so rasch wie möglich in ihre Heimatstadt zurückkehren können. Das gebietet nicht nur die Menschlichkeit. Das ist auch zentral für einen langfristigen Erfolg einer Offensive gegen Mossul.
Denn der Krieg gegen den IS im Irak hat viele Ebenen: Es geht dabei nicht nur um die Bekämpfung einer gefährlichen Jihadistenorganisation. Es geht auch um die Eindämmung eines Aufstandes in vor allem von Sunniten bewohnten Gebieten, der schon 2013 ausgebrochen ist. In Städten wie Ramadi wurde zunächst weitgehend friedlich gegen die schiitisch geprägte Regierung in Bagdad demonstriert. Der damalige Premier, Nouri al-Maliki, schickte aber Truppen, um den Protest niederzuschlagen. Sunnitische Stämme griffen daraufhin zu den Waffen. Eine der ersten Städte, die in die Hände der Aufständischen fiel, war Falluja.
Bei der sunnitischen Revolte mischten die Untergrund-Militärräte, die sich aus Offizieren des 2003 gestürzten Diktators Saddam Hussein rekrutierten, ebenso mit wie die Vorläuferorganisation des IS. Dem IS gelang es schließlich in den Gebieten, die sich von Bagdad losgesagt hatten, die Führung zu übernehmen.
Nun ist das sogenannte Kalifat, das der IS in bizarrer Selbstüberschätzung ausgerufen hat, am Zerfallen. Der Verlust Mossuls würde das pseudostaatliche Gebilde der Jihadisten endgültig auseinanderbrechen lassen. Um Mossul dem IS rasch zu entreißen, muss Bagdad das Vertrauen und damit die Unterstützung der lokalen Sunnitenstämme zurückgewinnen. Das ist auch wichtig für die Zeit nach dem „Kalifat“. Andernfalls droht die Gefahr, dass sich dort erneut extremistische Gruppen breitmachen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2016)